Radreise Tschechien – so nah und doch so anders

Radreise Tschechien – so nah und doch so anders

Egal ob Sommer oder Winter, egal ob mit Rennrad, MTB, Badehose oder Tourenski … wenn es auf Reisen geht, gibt es für uns im Osten Österreichs im Normalfall zwei Varianten:

  • A2 Südautobahn für die nahen Wiener Hausberge, die Süd-West-Steirischen Schmankerltouren, die Kärntner Seen oder bei etwas mehr Zeit La Dolce Vita in Bella Italia.
  • A1 Westautobahn für einen Ausflug ins Salzkammergut oder eine Reise zu den richtig hohen Bergen in Salzburg, Tirol, Vorarlberg oder in die Schweiz, …

Andere Reiseziele im Norden oder gar Osten werden im Normalfall in der Planungsphase stark vernachlässigt wenn nicht gar kategorisch ausgeschlossen (ausgenommen organisierte Sportveranstaltungen).
Zumindest bei mir war es jahrelang so – trotz böhmischer Großmutter und absoluter Schwäche für Powidl und Mohnnudeln – bis ich Hana kennenlernte, die mit ihren tschechischen Wurzeln und v.a Sprachkenntnissen der alteingesessenen Gewohnheit glücklicherweise ein Ende setzte.
Die letzten Jahre waren wir immer wieder ein paar Tage in Tschechien oder der Slowakei – bei Rennen, Verwandtschaftsbesuchen, Familienfeiern, … und wir haben uns bei Freytag und Berndt den Cykloatlas Česko gekauft, mit dem festen Vorsatz, auch einmal mit dem Reiserad das ungemein dichte Radwegenetz unseres nördlichen Nachbarn unter die Lupe zu nehmen.
Eine erste Runde starteten wir im August 2015 – wenn auch nur vier Tage. Immerhin Zeit genug für eine Menge kulturell-kulinarischer Eindrücke, Begegnungen und Erkenntnisse:

  • Nicht alle Seen haben Trinkwasser- oder Badequalität:
    nicht alle seen haben trinkwasser- oder badequalität
  • Auch bei uns weiß man nicht immer, woher der Mais kommt:
    akw dukovany - auch bei uns weiß man nicht immer, woher der mais kommt
  • wenn man am Kernkraftwerk Dukovany so knapp vorbei radelt, dass man die Reaktorblöcke nicht nur arbeiten sehen sondern auch hören kann, spürt man durchaus ein mulmig-unruhiges Gefühl aufsteigen … Phrasen wie „tickende Zeitbombe“ schießen einem durch den Kopf.
  • Der Mix aus westlich orientiertem Leben und verstaubten ČSSR-Relikten ist mal abenteuerlich, mal kurios, mal ergreifend …
  • Das Radwegenetz in Tschechien ist extrem dicht und großteils gut ausgeschildert; entlang der Hauptrouten gibt es Restaurants/Bistros und Pensionen; in Ortschaften ohne Hauptradweg stehen die Chancen auf einen Café oder etwas zum Beißen bei ca. 0,01%.
  • Das Essen ist wie bei uns am Land deftig und fleischlastig … für Vegetarier gibt es abgesehen von Palačinky und Nudle s mákem (Mohnnudeln) zumindest überall Smažený sýr (panierten Käse), Bramboraki (Erdäpflpuffer) und gebackenes Gemüse (Champignons, Karfiol).
    überall top: nudle s mákem - hier mit powidl gefüllt
  • Supermärkte oder kleine Lebensmittelläden haben in größeren Orten oft schon sehr früh (6.00 Uhr) und meistens auch sonntags geöffnet.
  • In „touristischen“ Gegenden (in denen Einheimische urlauben) gibt es vom schicken Hotel bis zur 20,- Euro-Pension (das Doppelzimmer) alle Optionen. WLAN ist fast immer dabei.
    radreise tschechien / cz - 20 EUR pension (doppelzimmer ohne frühstück)
  • Klar ist uns jetzt jedenfalls, woher der ganze Powidl kommt – die Straßen, Wege und Gärten sind gespickt mit üppigsten Zwetschkenbäumen – deren Äste vielfach gestützt die prächtigsten Früchte tragen.
    radreise tschechien / cz - land des powidls
  • Last but not least: Als Radfahrer fühlt man sich in Tschechien – im großen Gegensatz zu Österreich – willkommen. Während geschätzt 80% aller Verbotsschilder in Österreich Fahrradverbotsschilder sind, sieht man in Tschechien so gut wie keine. Der Radreisende erlebt diesen Kontrast exemplarisch entlang der Thaya (tschechisch „Dyje“). Während man auf tschechischer Seite im Národní park Podyjí auf unzähligen Wegen durch den Wald entlang der Thaya frei radeln kann, führt der Thayatalradweg bei Hardegg stur entlang der Landesstraße – dort wo sich die Thaya malerisch durch die Landschaft schlängelt, hat ein Radreisender in Österreich nichts zu suchen, die Zugänge sind „naturgemäß“ mit entsprechenden Verbotsschildern flankiert.
    danke thayatal ...
    Das Fahrrad als eine der großartigsten technischen Errungenschaften (Fortbewegung mittels eigener Kraft) und der Radfahrer als Vorbild der Gesellschaft (ökologisches und gesundheitsorientiertes Bewußtsein) werden in Tschechien respektiert … man fühlt sich als Radfahrer – anders als in Österreich – nicht wie ein Tier im Gehege, für das der Gesetzgeber stolz einen künstlichen, abgeschotteten Lebens- und Spielraum schafft. Dem aufgeklärt-freiheitsliebenden Individuum bleiben bei uns in Österreich ohnedies nur zwei Möglichkeiten: Verbotsschilder ausblenden/ignorieren oder eben ins Ausland reisen und dort das Urlaubsgeld investieren – so oder so: armes Österreich … mein Schwiegervater würde jetzt (spaßhalber) wieder einmal sagen: „Siehst du – damals, als Österreich noch bei Böhmen war …