Umbrien 06:
Fiamignano – L‘Aquila

Frühstück gibt es für alle Gäste zusammen am großen Tisch in der Gemeinschaftsküche um 7.30 Uhr. Das Angebot ist – naja, sehr italienisch … kein Gebäck oder Brot, nur in Plastik gepackter Süßkram (gefüllte Croissants, Zwieback, etc.). Dafür kräftigen, dunklen Kaffee aus der Mokka-Kanne, der über alles andere hinweg tröstet.
Ein kurzer Regenschauer unmittelbar vor der Abfahrt weicht bald ersten Sonnenstrahlen, die sich wie Balsam auf Seele und Haut auswirken. Wir strampeln motiviert und fit eine herrliche Bergstraße empor zum Piano di Castiglione (1200m), wo Schafe, Kühe und Pferde auf weitläufigen grasgrünen Almen weiden … vorbei am Casale Calabrese, das bestimmt ein sehr netter Stützpunkt für Wanderungen und Biketouren im bergigen Grenzgebiet der Regionen Lazio und Abruzzo ist … und erreichen bald die Passhöhe „Valico della Forca“ (1350m).

Passhöhe „Valico della Forca“

Seit unserem Start in Corso sind wir nur einem einzigen Auto begegnet. Auf den Almen sehen wir vereinzelte Schäfer und Hirten – wir genießen wieder einmal beinahe absolute Einsamkeit und Ruhe, bevor es talabwärts Richtung L’Aquila geht. Die Abfahrt führt uns über feine Serpentinen und offenbart grandiose Ausblicke über das weite Tal des Aterno mit den dahinter liegenden Gipfeln des Parco Nazionale del Gran Sasso. Es dauert sehr lange, bis wir in eine Ortschaft mit Bar/Café erreichen und sind nach der langen, durchaus frischen Abfahrt schon etwas ausgefroren und damisch. Dolce gibt es keine, nur Café … deshalb pimpen wir unsere Pause mit eigenen Vorräten auf: Weißbrot mit Schoki gefüllt – auch lecker 🙂

Danach nehmen wir eine zusätzliche Steigung nach Colle di Roio in Kauf, um der dicken Hauptstraße nach L‘Aquila auszuweichen. Bei der anschließenden Abfahrt werden wir mit ersten Eindrücken der vom Erdbeben 2009 nach wie vor extrem gezeichneten Stadt konfrontiert: ein Meer von Kränen schwebt über den Dächern von L‘Aquila. Am 6. April 2009 starben 308 Menschen, Teile der Altstadt wurden schwer beschädigt bis vollständig zerstört. Mehr dazu später.
Unsere Straße führt uns Richtung Bahnhof, als wir nach wenigen Metern im Stadtgebiet ein verlockendes Lokal am Straßenrand entdecken: Ristorante Il Re gatto. Wir sind um diese Uhrzeit die einzigen Gäste und nehmen im überdachten Garten Platz. Kurz darauf beginnt es zu regnen.

Speisekarte gibt es keine, wir äußern dem Kellner unsere Wünsche „senza Carne, senza Pesce“ … er macht uns daraufhin sympathisch und überaus freundlich einen Menüvorschlag, der sich einfach nur grandios anhört. Und dann geht es auch schon bald los: zuerst kommen als Gruß aus der Küche, wo „La Mama“ leidenschaftlich aufkocht, Bruschetta Pomodoro und eine hervorragende Vorspeise mit braunen Linsen … danach die Primi Piatti mit Pasta und hervorragenden Gnocchi con Pistacchi, gefolgt von einer großzügigen Auswahl gegrillter Gemüse samt Erdäpfel-Polenta-Auflauf als Secondo Piatto. Der abschließende Espresso wird von einer verführerischen Blätterteig-Creme-Schoko-Spezialkreation begleitet. Spätestens jetzt steht es fest – wir fahren an diesem Tag nicht mehr weiter … auch weil inzwischen der Regen richtig intensiv geworden ist.

Wir warten das Schlimmste ab und fragen unseren Kellner, ob er einen Tipp für ein günstiges Zimmer in der Nähe hat. Er nennt uns das Hostel „Porta Rivera“ direkt gegenüber vom Bahnhof – keine 500 Meter entfernt – eine super Empfehlung! Wir beziehen ein riesiges Zimmer in für uns perfekter Lage für EUR 50,- (ohne Frühstück), duschen, ziehen unsere „Ausgeh-Montur“ an und beginnen unseren Fußmarsch durch L’Aquila. Auch wenn sich mittlerweile wieder die Sonne zeigt, schlägt unsere Stimmung bald in blankes Entsetzen und tiefe Erschütterung um – die Bilder des 2009 beinahe komplett verwüsteten Zentrums prägen sich dabei tief in unser Gedächtnis ein … Fassaden die wie zerbombt wirken, unvorstellbar gewaltige Gerüst-Konstruktionen, Holzbalken und Stützen in jeder Tür, in jedem Fenster … die einzigen massiven Gebäude, die komplett verschont oder vielleicht bereits wieder vollständig restauriert erscheinen, sind der „Palazzo del Governo“ und die „Banca d’Italia“ … sämtliche Kirchen, Denkmäler, Brunnen und Geschäftslokale im Zentrum befinden sich im Wiederaufbau, der unter dem klingenden Namen „L’Aquila rinasce“ auf Plakatwänden und Transparenten ausgerufen wird.
Vielen Gesichtern sieht man die tief sitzende Trauer und Angst nach wie vor an. Die „Università degli Studi dell’Aquila“ wirbt mit kostenlosen Studienplätzen um junge Leute … Generell ist die große Hoffnung spürbar, dass die einst so pulsierende, dynamische Stadt mit ihrem kulturellen und historischen Reichtum nicht ausstirbt sondern wieder aufersteht, wieder zum Leben erwacht.

L’Aquila rinasce

L’Aquila rinasce

Etappendaten: 49km – 740hm

GPS-Track zur gesamten Tour

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