24h Leppen – Genua

24h Leppen – Genua

Gewisse Tage bleiben einem für immer in Erinnerung – und das allein beantwortet schon die Frage, wieso man Dinge tut, die anderen Menschen verrückt erscheinen. In den letzten Jahren haben wir immer wieder verschiedenste Ausdauer-Projekte realisiert. In unseren Rennsport-Jahren waren wir bei Marathons, Triathlons, Zeitfahren, Etappenrennen, etc. unterwegs – nur ein 24-Stunden-Rennen ist sich für uns irgendwie nie sinnvoll ausgegangen. Also entstand schon vor einiger Zeit die Idee, das im klassischen 2er-Team-Format „nachzuholen“ – nicht, um uns irgendetwas zu beweisen, sondern einfach um der Erfahrung und der Erlebnisse willen.

Also planten wir eine Route mit einem lohnenden Ziel und warteten ein passendes Wochenende ab, an dem die Tage lang, das Wetter günstig und die nötige Zeit (kein Gästewechsel in unseren Ferienwohnungen) vorhanden war.

Als Ziel kristallisierte sich bald Genua heraus – jene gewaltige Hafenstadt am ligurischen Meer, die seit ihrem Bestehen Beinamen wie „la Superba“ oder „la Dominante“ trägt und über der bis heute eine ungemein geschichtsträchtige und mystische Aura schwebt.

Die knapp 580 km planten wir im ca. 2-stündigen Wechsel zu absolvieren, d.h. eine/r am Rad, der/die andere im Auto. Ein genauer Etappenplan wurde im Vorfeld definiert, um die Treffpunkte (Parkplätze) mit GPS für Rad- und Autofahrer punktgenau auffindbar zu machen. Kühltaschen (Danke an Sandra & Marcell) wurden mit Getränken und Essen prall gefüllt, da wir unterwegs keine Zeit für Einkäufe investieren wollten – jede Minute, die man bei so einem Projekt im Auto regenerieren kann, ist Goldes wert. Wechselgewänder und Werkzeug packten wir ebenso in unseren Caddy, wie eine Matratze, um hinten (wir haben keine Rücksitze) zwischen den Rad-Etappen bequem zu liegen und zu entspannen.

So sah unser Zeitplan im Vorfeld aus:

Start war dann zu Hause am Freitag, 2. Juli um 23:00 Uhr, nachdem wir vorab von 16 – 22 Uhr versucht hatten, etwas zu schlafen – ohne Erfolg … aber allein die Ruhe und das Liegen mit geschlossenen Augen spenden Erholung und Energie, wie wir es von zahlreichen schlaflosen Hüttennächten her wissen.

Die ersten Etappen mitten in der Nacht entpuppen sich dann als großes Rennrad-Kino. Unter dem sternenklaren Himmel hinauf zum Plöckenpass begegnen wir nur sehr wenigen Autos. Ein paar Camper stehen in Parkbuchten – ansonsten erleben wir hautnah und oft mit Gänsehaut die nächtlichen Aktivitäten der Tierwelt. Alle paar Meter leuchten uns im Scheinwerferlicht unserer Helmlampen die Augen kleiner und größerer Wildtiere entgegen: Marder, Rehe, Hirschkühe, die wenige Meter vor uns die Straße queren und dann kurz darauf laut röhrende Schreie von sich geben … aber vor allem Füchse in allen Größen lassen uns ob ihrer extrem hohen Dichte am meisten staunen. Allein bei der Abfahrt vom Plöckenpass (0:45 Uhr) sehen wir auf den ersten Serpentinen fünfmal ausgewachsene Füchse neben und über die Straße huschen. Alle paar Meter queren Mäuse die Straße, einige von ihnen sind schon plattgedrückt. Sobald Häuser neben der Straße stehen, sind es die leuchtenden Katzenaugen, die einem alle paar Meter entgegenfunkeln. Nachdem so gut wie kein Verkehr ist, gehört die Straße sonst nur uns und wir fahren so mittig wie möglich, um bei einem jederzeit möglichen Wildwechsel die maximale Reaktions- und Bremsreserve zu haben. Unsere Helmlampen spenden selbst bei hohem Tempo einen ordentlichen Lichtkegel, aber wenn das Begleitfahrzeug mit Fernlicht hinter einem fährt, hat man als Rennradler ein sensationelles Fahrgefühl, ähnlich einem Einzelzeitfahren auf gesperrter Straße.

So gewissenhaft wir im Vorfeld geplant hatten – an etwas hatten wir so gar nicht gedacht: an Straßensperren und Umleitungen, die uns dann unterwegs insgesamt viermal etwas aus dem Konzept bringen. Da heißt es dann spontan umplanen und so schnell wie möglich die beste Alternativroute zu finden. Als Radfahrer hat man es da fast noch einfacher, wenn man eine kurze Straßensperre umgehen oder seitlich ausweichen kann – als Autofahrer muss man oft schon großräumiger ausweichen – und nicht immer sind die gelben Umleitungsschilder „Deviazione“ konsequent aufgestellt. Hektisch wird es nur dann, wenn auf der GPS-Karte eingezeichnete schmale Straßen vor Ort gar nicht existieren. So gut und verlässlich die digitalen Karten mittlerweile sind, es gibt nach wie vor Regionen, die mit Updates definitiv vernachlässigt werden.

Und noch ein Faktor kostet uns am Rad ungeplant Zeit und Energie: der in der Planung perfekt anmutende, da schnurgerade angelegte Radweg Nr. 15 auf der 4. und 5. Etappe. Nicht nur, dass man alle paar hundert Meter komplett herunterbremsen muss, sobald man eine (durch Wald uneinsichtige) Straße quert, auch der an sich asphaltierte Belag ist großteils für Rennräder komplett unbrauchbar, da alle paar Meter ruppigste Aufwölbungen und Risse mit den schlimmsten Passagen von Paris – Roubaix mithalten. Also heißt es auch hier spontan und so schnell wie möglich am GPS-Gerät eine brauchbare Straßenalternative ausfindig zu machen.

Dafür – und das ist mit Abstand das Wichtigste – bleiben wir von Pannen, Stürzen oder sonst unguten Situationen komplett verschont. Auch die Energie macht uns bis zum Schluss keinen Strich durch die Rechnung, weder am Rad, noch beim Autofahren – und so erreichen wir mit nur 1 Stunde „Verspätung“ (vom vorab kalkulierten Zeitplan), aber noch innerhalb der 24 Stunden um Punkt 22:35 Uhr die Ortstafel mit den erlösenden Lettern „Genova“.  

Die Nacht verbringen wir im Zentrum in einem vorab gebuchten Hotel mit Parkmöglichkeit – wir schlafen so tief und fest wie noch nie zuvor in Italien und träumen von Füchsen, kräftigem Kaffee und saftigen Croissants.

Unser Fazit zum 24h-Team-Format:

  • auf jeden Fall ein lohnendes Erlebnis – vor allem die ruhigen Stunden in der Nacht
  • Wechsel im 2-Stunden-Rhythmus sind gerade richtig; die längeren Einsätze gegen Schluss (Etappen 7-9) waren schon etwas anstrengender
  • Als Radfahrer hat man es fast leichter als als Autofahrer – man muss „nur“ radfahren: im Auto ist das Navigieren teilweise stressiger und die Zeit zwischendurch zum Essen, Waschen (Wassersack an der offenen Heckklappe vom Caddy montiert = perfekte Dusche), Regenerieren/Liegen und wieder Bereitmachen zum Weiterfahren ist überraschend knapp
  • Insgesamt regeneriert man in den Pausen zwischendurch erstaunlich gut; nach 2 Stunden intensiver Belastung kann man sich oft nicht vorstellen, weitere Etappen à 2 Stunden kraftvoll zu treten; wenn man dann nach der Pause wieder aufs Rad steigt, kommen die Watt aber doch überraschend gut auf die Pedale
  • Man kann nicht genügend gute und abwechslungsreiche Verpflegung mithaben – sowohl Essen als auch Getränke; vor allem die Hitzefahrten mittags und nachmittags können Magen und Appetit ordentlich strapazieren – Gemüsebrühe aus der Thermoskanne kann richtige Wunder bewirken, wenn man sonst nichts mehr „runterbringt“. Während der Nacht sind Kaffee und Tee aus der Thermoskanne ein Hit; kühles Cola und Mineral-Zitron fließen dann tagsüber literweise.
  • gute Planung ist die halbe Miete 🙂

Eckdaten:

Start: Freitag 02.07.2021 – 23:00 Uhr Leppen/Irschen
Ziel: Samstag 03.07.2021 – 22:35 Genua
Hana Gesamt: 9:30 reine Fahrzeit – 235,6 km – 1.885 hm – Schnitt 24,8 km/h
Peter Gesamt: 11:46 reine Fahrzeit – 341,7 km – 2.400 hm – Schnitt 29,0 km/h
Gesamt: 21:16 reine Fahrzeit – 577,3 km – 4.285 hm – Schnitt 27,1 km/h

Unsere gefahrene Route:

die Strecke auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/410716060