TDI 02 – Emilia-Romagna, Toskana, Marken und Umbrien:
Calanchi, Bivacco Castellaccio, Bivacco di Risecco, Gubbio

TDI 02 – Emilia-Romagna, Toskana, Marken und Umbrien:<br>Calanchi, Bivacco Castellaccio, Bivacco di Risecco, Gubbio

Die kommenden 4 Etappen werden weder strecken- noch wettermäßig richtige Highlights. Es geht durch einsame, untouristische Gegenden, die von der Landschaft her oft „unitalienisch“ wirken. Aber wir kommen auch durch viele lebendige Ortschaften, mit zahlreichen Bars, kleinen Geschäften, großartigen Bäckereien und sehenswerten Bauwerken. Die Natur scheint intakt zu sein und mit einigen Rifugios und Bivaccos an absolut ruhigen, naturnahen Plätzen gibt es eine wertvolle, nahezu philanthropische Infrastruktur für Wanderer und Reisende, wo man dann doch intensiv spürt, in einem anderen Land zu sein.

4. Etappe – Bivacco Castellaccio

Die Wetterprognosen für die kommenden Tage haben wir während unserer Tage in Ferrara täglich studiert und sie ließen uns gleich wieder einiges umplanen, da auf unserem Weg nach Gubbio – unserer nächsten Home-Office-Station – eigentlich nur die erste Etappe sonnig und trocken vorhergesagt wurde. Danach sollten wir teilweise auch mit intensivem Regen rechnen, weshalb uns die geplanten Zeltplätze in höheren Regionen und die längeren Offroad-Passagen nicht sehr verlockend erschienen.

Also starten wir aus Ferrara mit dem Vorhaben, am heutigen Sonnentag so viele Kilometer wie möglich zu absolvieren, um dann die kommenden drei Tage bei schlechterem Wetter zeitlich flexibler zu sein. Unser heutiges Ziel ist das Bivacco Castellaccio oberhalb von Sarsina – ein unbewirtschaftetes Refugio, das  (ähnlich wie in Spanien) von Wanderern und Radreisenden meistens frei genutzt werden kann. Auch wenn vorab nicht immer ganz klar ist, ob so ein Schutzhaus tatsächlich seine Tür durchgehend geöffnet hat oder ob man sich vorab anmelden bzw. einen Schlüssel organisieren muss, tut es alleine gut zu wissen, dass man an einem Platz landet, wo man als Reisende/r grundsätzlich willkommen ist. Und falls so ein Schutzhaus versperrt ist, dann gibt es zumindest so gut wie immer eine ebene Fläche davor für ein Zelt und oft auch eine bequeme Sitzgelegenheit im Freien – was bei Regen und Gewitter natürlich nicht 100% glücklich macht 🙂 

Wir verlassen Ferrara früh morgens (6:40 Uhr) und spulen die ersten, nahezu flachen 110 km richtig herunter. Nach 55 km stärken wir uns in der Bäckerei La Fornarina in Cà di Lugo mit einem sensationellen Marzipanbrot. Die Mittagspause inkl. kurzem Arbeitseinsatz erledigen wir dann bereits kurz vor 12 Uhr in einem schattigen Park in Villagrappa bei km 90.

Landschaftlich interessant wird es erst beim ersten Anstieg des Tages zum Monte Cavallo oberhalb von Teodorano. Wir queren hier auch das Gebiet der „Calanchi“ mit ihren typischen schroff-kantigen Erd-/Lehm-/Gesteinsformationen, welche sich durch Niederschlag, Wind und Erosion gebildet haben.

Über das kleine Dorf Linaro näheren wir uns dem Schlussanstieg zum Bivacco. Gute 400 Höhenmeter warten noch auf uns und nach 10 Stunden Unterwegssein und 135 km im Sattel werden diese ungewohnt zäh, bis wir endlich von der (komplett einsamen) „Hauptstraße“ abzweigen und auf einer Schotterpiste die letzten 2 km zum Etappenziel rollen. Das  Bivacco Castellaccio ist geöffnet und wirkt recht gepflegt. Dennoch beschließen wir ein paar Meter daneben auf der herrlichen Wiese mit Tischbank unser Zelt aufzustellen, da es heute Nacht noch auf jeden Fall trocken bleiben sollte.

5. Etappe – Bivacco di Risecco

Die Nacht verläuft herrlich ruhig und wir können nach der langen Etappe gestern gut regenerieren. Nachdem es aber heute nachmittags kräftig regen soll, starten wir wieder recht zeitig in den Tag, frühstücken mit Stirnlampe bequem dank der Tischbank und verlassen kurz nach 7 Uhr das Areal des Bivacco Castellaccio. Unser heutiges Ziel für die prognostizierte Starkregen-Nacht ist das Bivacco di Risecco, welches laut Internet-Recherchen offen sein sollte. Entfernung etwa 50 km und 1.500 Höhenmeter.

Über eine feine Schotterpiste, die uns etwa 4 km bergab Richtung Sarsina führt, verlassen wir dieses komplett einsame und idyllische Waldstück. Dass die gestrige Etappe lang und kräftezehrend war, spüren wir bei den ersten Metern bergauf. Wir drehen eine Runde durch das kleine, attraktive Zentrum von Sarsina und besichtigen die eindrucksvolle Basilika an der Piazza Tito Maccio Plauto, benannt nach dem in Sarsina geborenen berühmten römischen Dichter. In einer Seitengasse entdecken wir die überaus verlockend aussehende und duftende Bäckerei „Forno Bacciocchi“. Zur Sicherheit füllen wir unsere Brot- und Kuchen-Vorräte auf, da wir nicht wissen, ob wir heute und morgen nochmals so eine Gelegenheit haben werden. Wieder kaufen wir ein herrlich schmeckendes, marzipanähnliches Mandelbrot, ein paar Weckerl und Olivenstangen sowie eine Spezialität, die uns die überaus freundliche Bäckerin ans Herz legt: Babà al Rum – ein in Rum-Zucker-Sirup getränkter Hefekuchen, der uns bisher nie irgendwo aufgefallen ist, dem wir aber in Kampanien und Kalabrien noch öfter begegnen werden – allerdings ohne weitere Verkostungen, da uns der intensive Rumgeschmack und die Konsistenz des aufgeweichten Kuchens nicht wirklich überzeugen.

Die heutige Etappe ist landschaftlich keineswegs spektakulär. Über einsame Straßen geht es hügelig durch waldige Regionen. Highlights sind die netten Ortschaften und Dörfer wie z.B. Sant’Agata Feltria, zu dem wir etwa 500 Höhenmeter bergauf kurbeln.

In der Nähe von Badia Tedalda jausnen wir zu Mittag und kreuzen hier auch unsere Reise-Route von 2014 („Umbrien – eine Radreise durch Italiens mystische Mitte“). Die folgenden 500 Höhenmeter  werden dann so richtig einsam, zu Beginn noch auf einer schmalen Asphaltstraße, später dann über Schotter hinauf die Strada della Luna Richtung Grenze Toskana/Marken. Auf der Passhöhe (mit Windrad) zweigen wir rechts ab auf eine schmälere Schotterpiste, die bald deutlich steinig-ruppiger und vor allem auch steiler wird. Einige längere Steilrampen sind so schwierig und geröllig, dass wir nur mit den letzten Kräften unsere Bikes 2-3 Schritte irgendwie hinaufhieven können, um dann wieder die Bremsen zu ziehen, um kurz zu rasten. Irgendwann sind wir aber oben und rollen die letzten 1,5 km auf einer erdigen Waldpiste bergab zum Bivacco di Risecco, wohlwissend, dass wir hier am nächsten Morgen wieder bergauf zurück müssen.

Obwohl es erst kurz nach 14 Uhr ist, ist der Himmel schon recht finster. Wir hoffen inständig, dass die Eingangstür zum Bivacco geöffnet ist, und wir haben Glück. Wir erspähen als Erstes den großen Kamin und eine hölzerne Tischbank. Staub und Spinnweben blenden wir aus – wir sind einfach nur dankbar über das feste Dach über dem Kopf und sammeln gleich einiges an Brennholz in den Wäldern ringsum. Und dann fallen auch schon die ersten dicken Tropfen, sodass wir unsere obligate Outdoor-Dusche mit Regenwasser gepimpt absolvieren, bevor wir es uns im geräumigen Schutzhaus bei knisterndem Feuer und gutem Abendessen gemütlich machen.

Wieder einmal stellen wir fest, dass es am Ende einer anstrengenden Etappe nur sehr wenig braucht, um glücklich und selig zu sein: ein angenehmes Körperklima, ein gutes Essen und das sichere Gefühl von Geborgenheit. Dem draußen tosenden Sturm sowie dem prasselnden Dauerregen können wir entspannt zuhören, während wir unsere Augen auf den Kamin richten und zusehen, wie die uns wärmenden Flammen das Brennholz verzehren.

6. Etappe – Monte Splendore

In der Früh hat es zum Glück aufgehört zu regnen. Also starten wir wieder zeitig, um vor dem nächsten vorhergesagten Niederschlag am heutigen Etappenziel zu sein. Wir hatten bereits gestern online ein B&B gebucht, welches gut 60 km und 1.430 Höhenmeter vom Bivacco di Risecco entfernt liegt.

Zuerst heißt es dann gleich einmal die 1,5 km Erd-Lehm-Piste im Wald bergauf zu schieben. Ein paar Mal rutschen wir schön dahin, aber insgesamt ist es weniger schwierig als befürchtet. Die gestern so verfluchten Steilrampen tanzen wir in mystischer Nebelstimmung langsam fahrend bergab. Kurzzeitig schaffen es sogar ein paar Sonnenstrahlen zu uns und tauchen den Wald ringsum in ein fantastisches Orange.  

Über eine lange Schotterabfahrt verlassen wir die Region der Alpe della Luna und passieren ein paar kleinere Ortschaften und Dörfer, die friedlich und ruhig inmitten der ausgedehnten Wald- und Feldlandschaften der nordwestlichen Marken liegen. Neben der schmalen Straße stehen hier unzählige Walnussbäume, die in der stürmischen Nacht den Großteil ihrer Früchte verloren haben.

In Sant‘ Angelo in Vado legen wir unsere erste Rast ein und bereiten uns auf die kommenden drei Anstiege vor, die von genüsslich sanft bis zu 20% Schotter bergauf für nicht immer willkommene Abwechslung sorgen werden. Auf unserer Route zum B&B Monte Splendore kommen wir nur noch durch eine größere Ortschaft: Apecchio, kurz vor der Grenze Marken/Umbrien. Wir strampeln hier für ein paar Stunden durch eine extrem einsame, gefühlt „unitalienische“ Gegend, die aber durchaus ihre versteckten Reize hat.

Wie so oft in weniger touristischen Gegenden werden wir von unseren Gastgebern im B&B Monte Splendore besonders herzlich empfangen. Am Zimmer des überaus geschmackvoll renovierten und liebevoll eingerichteten Steinhauses stehen Rotwein und Knabbereien. Abends bekommen wir eine kräftigende Gemüsesuppe geschenkt – alles aus dem eigenen Garten. Der Hausherr ist hauptberuflich Contatino (Landwirt) und bewirtschaftet einen üppigen Obst- und Gemüsegarten. Leider wird die harte körperliche Arbeit altersbedingt nicht mehr lange für die beiden machbar sein, sodass sie bereits auf der Suche nach Nachfolgern sind. Hätten wir nicht so ein schönes Zuhause, wären wir vielleicht kurz ins Grübeln gekommen.

Während wir das Essen und die Atmosphäre im heimeligen Zimmer genießen, regnet es draußen schon wieder ganz ordentlich. Bisher hatten wir eigentlich richtig Glück im Unglück mit dem Wetter. Natürlich hätten wir uns über etwas Sonne und wärmere Temperaturen mehr als gefreut, aber bisher blieben wir zumindest unterwegs immer trocken und abends hatten wir stets ein schützendes Dach über dem Kopf.

7. Etappe – Gubbio

Nach einem sehr guten Frühstück starten wir die kürzeste Etappe unserer Reise. Nur noch 31 km sind es bis nach Gubbio, wo wir die kommenden Tage wieder im Home-Office arbeiten werden. Wir sind richtig froh darüber, dass wir von Ferrara weg zu Beginn so eine lange Etappe hingelegt haben, um die wetterunsicheren Tage danach deutlich entspannter und zeitlich flexibler zu haben. 

Highlights gibt es heute unterwegs nicht wirklich. Im Gegenteil: einige Wege und Straßen sind gezeichnet von den üppigen Regenfällen der letzten Tage. Ein paar Böschungen und Hänge sind ins Rutschen gekommen und haben Erde und Lehm auf die Straßen befördert. Nüsse und Zwetschken liegen en masse am Boden und warten sehnsüchtig aufgesammelt zu werden. Auch wir füllen unsere Taschen, um die nächsten Tage in Gubbio vor allem unsere selbstgebackenen Kuchen zu verfeinern.

Kurz vor Gubbio reinigen wir bei einer Tankstelle unsere dreckigen Taschen und Bikes, damit wir mit gutem Gewissen in unser gebuchtes Apartment einchecken können. Die kommenden Tage werden wieder recht arbeitsam und dienen nebenbei hervorragend der Regeneration. Abends besichtigen wir zweimal das Zentrum von Gubbio, jener Stadt, die sich selbst gerne als „la più bella città medievale“ feiert (die schönste mittelalterliche Stadt). Und ja, die terrassierte Lage von Gubbio mit den top restaurierten Bauwerken ist ohne Zweifel ein Genuss für alle Kultur- und Architekturfans und verzückt auch uns immer wieder. „Leben“, so wie zuletzt in Ferrara, ist allerdings keines in der Altstadt. Das Zentrum ist zu 100% auf Tourismus fokussiert. Die Einheimischen, und auch wir, wohnen außerhalb der Altstadt. Hier finden wir neben einer kleinen Bäckerei und größeren Supermärkten auch ein hervorragendes Lokal, in dem es mittags bis 14:30 Uhr regionale, frisch zubereitete Speisen zum Mitnehmen oder zum vor Ort Essen gibt: die Gastronomia Eugubina. Das Publikum ist bunt gemischt – von jugendlichen Sport-Schülern im Jogger bis zum Geschäftsmann im feinen Anzug. Die Betreiber sind überaus aufmerksam und bemüht die kulinarischen Vorlieben der Gäste zu bedienen. Vegetarisch – kein Problem. Von allem ein bisschen was – kein Problem. Zum Nachtisch nur eine winzige Kleinigkeit zum Espresso – kein Problem. Daumen hoch für Service, Qualität und Geschmack!

Die einzelnen Etappen auf Strava:

TdI 04 – Bivacco Castellaccio 8:40:06 147,61 km 1.418 m
TdI 05 – Bivacco di Risecco 5:10:10 53,64 km 1.495 m
TdI 06 – Monte Splendore 5:44:36 63,63 km 1.431 m
TdI 07 – Gubbio 2:15:40 31,69 km 534 m

Fahrzeit, Kilometer und Höhenmeter sind nicht 100% exakt … wenn z.B. vergessen wurde, die Uhr nach einer Pause wieder zu starten 🙂

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Unsere Traversata d‘Italia in 6 Blöcken: