Radpilgern – MTB Jakobsweg Weststeiermark

Radpilgern – MTB Jakobsweg Weststeiermark

Radpilgern gilt als anerkannt Form des Pilgerns – das war unser erster Gedanke, als wir im Vorjahr auf der Koralpe unsere erste Begegnung mit der Hinweistafel „Jakobsweg Weststeiermark“ hatten. Bald darauf folgten Online-Recherchen über Etappen, Distanz, Höhenmeter, … und der feste Entschluss, 2015 unsere erste Pilgerreise zu starten.

153 Kilometer und etwa 5.000 Höhenmeter liegen zwischen dem Ausgangsort Thal bei Graz und dem Ziel in Lavamünd. Auf der Website www.jakobsweg-steiermark.at wird die Strecke in 8 Etappen geteilt und mit detaillierten Informationen zu Wegbeschreibung, Verpflegung & Unterkünften sowie Sehenswürdigkeiten beschrieben. Zum Glück fanden wir auch einen GPS-Track der gesamten Route und so blieb für uns eigentlich nur noch eine Frage offen: wieviel des Weges wird fahrbar sein und wieviele Kilometer werden wir das Bike schieben oder tragen müssen? Werden wir den weststeirischen Jakobsweg an einem Tag schaffen? Das waren jetzt eigentlich 3 Fragen – egal … jedenfalls ist es genau diese Ungewissheit, die Projekte wie dieses für uns erst so richtig interessant und spannend macht.

Viele werden jetzt wahrscheinlich denken, dass unser Ziel einer Tagesbefahrung im krassen Gegensatz zur Pilgerphilosophie von Langsamkeit und Ruhe steht. Dass dem nicht so ist, belegen unsere Gedanken und Erfahrungen rückblickend noch mehr als zuvor.

Wieso den ganzen Weg an einem Tag?

Ein banaler Grund liegt auf der Hand. Freitag und Montag sind für uns „normale“ Arbeitstage. Wenn wir Samstag von Thal bis Lavamünd radeln, bleibt uns der Sonntag für die Rückreise per Rad nach Thal und per Auto nach Hause.

Der eigentliche Grund ist natürlich wesentlich vielschichtiger. Es ist die absolute Besonderheit, eine Mountainbiketour mit Helm-Leuchte um 4.00 Uhr morgens zu beginnen und um kurz vor 21.00 Uhr mit Helm-Leuchte zu beenden. Dazwischen ist man viele Stunden unterwegs in der Natur, erlebt die stockfinstere Nacht, deren Kälte und Stille, darauf einen prachtvollen Sonnenaufgang, entdeckt Tiere, die den Tag begrüßen, spürt die ersten wärmeden Sonnenstrahlen, trifft Menschen, die in der Bäckerei frühstücken, bestaunt die klare Fernsicht bis zum Horizont, betrachtet in der Ferne winzige Berggipfel, die unerreichbar weit weg scheinen und die man Stunden später erreicht haben wird, kehrt immer wieder ein, um sich zu stärken, freut sich über jede freundliche Begegnung und jedes nette Gespräch, lässt seinen Gedanken freien Lauf, beobachtet wie die Schatten der Nachmittagssonne immer länger werden, tanzt wenig später am Rad durch feuerrote Wälder im Licht der untergehenden Sonne und ist irgendwann angekommen an seinem Ziel – einfach nur glücklich und dankbar oder – um im Pilgerjargon zu bleiben – selig ob der gottvollen Stunden.

Einerseits ist es diese hohe Anzahl und Dichte an Eindrücken, andererseits sind es Konzentration und Anstrengung, die Körper und Geist irgendwann in einen ganz eigenen Modus versetzen. In diesem Modus erfährt man auf wohltuende Weise innere Ruhe, hat Zeit zum Nachdenken und kann sich intensiv die geordnete Langsamkeit der natürlichen Abläufe bewusst machen. In dieser Hinsicht fühlten wir uns am Jakobsweg Weststeiermark durchaus wie richtige Pilger 🙂

Die Zeit …

Natürlich kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem wir auf die Uhr blickten, im Zweifel, ob sich unser Vorhaben zeitlich ausgehen kann. Erstmals so richtig bei der Trahütter Hütte, von der wir erst um 15.30 Uhr Richtung Handalm aufbrachen … und dann natürlich auch am Gipfel der Koralpe, dem 2.100m hohen Großen Speikkogel: als wir dort um 17.50 Uhr das Schild „Soboth 6h“ sahen, legten wir nochmals einen Gang zu und vermieden zeitraubende Foto-Stopps oder gar Pausen. Die 16 Kilometer (fast ausschließlich) Singletrail bis nach Soboth erwiesen sich dann zum Glück für uns als absoluter Hochgenuss. Bergauf ging es nur noch 2-3 mal relativ kurz und die Schiebe-/Tragepassagen waren sehr überschaubar. Dazwischen ging es unglaublich flowig über schmalste, nicht enden wollende Heidelbeer- und Wurzel-Pfade mehr als 1.000 Höhenmeter bergab.
Die letzten Meter im Wald nach Soboth holte uns beinahe wieder die Dunkelheit ein. Nur Minuten später war es stockfinster, sodass wir unsere MyTinySun Leuchten wieder am Helm montierten und entschieden, die letzte Etappe des Jakobswegs nicht im Gelände sondern auf der Straße über die Passhöhe nach Lavamünd zu fahren. Wenn man es genau nimmt, ist unser Vorhaben also gescheitert. Zuvor waren wir stets dem Originalweg gefolgt, auch wenn es bei steilen Schiebepassagen immer wieder asphaltierte Umfahrungsmöglichkeiten gegeben hätte. Selbst den 4km Umweg nach Freiland (hin/retour der selbe Weg) ließen wir nicht aus. Dem Gesamterlebins Jakobsweg Weststeiermark tut dies für uns allerdings keinen Abbruch – am Ende überwiegen nach so einem Tag ausschließlich Freude und Dankbarkeit.

Retourweg

Die Nacht in Lavamünd verbrachten wir im Gasthof Hüttenwirt und am nächsten Morgen starteten wir um kurz vor 9.00 Uhr unsere Heimfahrt. Zuerst ging es im leichten Nebel entlang der Drau, über die Grenze nach Slowenien und sonnig über den Radlpass wieder zurück in die Steiermark. Dort fuhren wir großteils auf schönen, schmalen Straßen durch das weststeirische Hügelland so gut es ging schnurgerade zurück nach Thal (94km/1.500 Höhenmeter).

Fazit

  • Die ersten 3 Etappen des weststeirischen Jakobswegs sind sehr asphaltlastig – so richtig genussvoll wird die Strecke erst ab Edelschrott. Landschaftliche Highlights sind für Wanderer wie Radpilger mit Sichereheit die Abschnitte zwischen Edelschrott und St. Oswald sowie zwischen Osterwitz und Soboth über die Handalm – Weinebene – Koralpe.
  • Insgesamt trafen wir auf dem gesamten Weg (leider) nicht einen Pilger. Auch Tages-Wanderern begegneten wir fast ausschließlich im Nahgebiet der Weinebene (Parkplatz auf 1.660m Höhe) – und das trotz optimaler Wetterbedingungen an einem spätsommerlichen Samstag (12. September).
  • Die Jakobsweg-Markierung ist meistens sehr gut, teilweise aber gar nicht vorhanden. Ohne GPS hätten wir dem Weg mit Sicherheit nicht so lange folgen können. Für Wanderer gibt es jedoch auf der Website www.jakobsweg-steiermark.at detaillierte Beschreibungen inkl. Karten-Downloads, sodass man sich zu Fuß sicher überall gut orientieren kann.
  • Wieso der Jakobsweg für Wanderer auf der dicken Hebalmstraße von St. Oswald nach Freiland und wieder retour führt, erscheint uns fragwürdig, vor allem da es einen sehr feinen Wanderweg von St. Oswald nach Osterwitz gibt. Rechtfertigt die Pfarrkirche St. Jakob in Freiland tatsächlich einen für Wanderer derartig unattraktiven Abschnitt?
  • Die Infrastruktur für Pilger (Unterkünfte/Einkehrmöglichkeiten) kann man insgesamt als sehr gut bewerten. Dennoch scheint es uns (vor allem für Wanderer) durchaus sinnvoll, vorab zu klären, welche Betriebe tatsächlich offen haben, um nicht spät abends ohne Alternativen weit und breit vor verschlossenen Türen zu stehen. Das gilt vor allem für die Region rund um Osterwitz, nachdem der Gasthof Zach seinen Gastbetrieb komplett eingestellt hat. Auch auf der Website genannte Betriebe hatten an unserem Reisetag nicht alle geöffnet.
  • Sehr erfreulich: insgesamt sahen wir auf der gesamten Strecke nur drei ausdrückliche Verbotsschilder „gilt auch für Radfahrer“ … sämtliche Begegnungen und Gespräche in Pilger-Betrieben waren überaus freundlich und positiv, ebenso alle Begegnungen mit Wanderern rund um die Weinebene.
  • Unser Gesamturteil über den Jakobsweg Weststeiermark: Prädikat besonders wertvoll!