Rückblickend erhält der Zelt-Platz im Happy Panda Camping Resort von uns den Titel „Brutzel-Station“. Die numerierten Liegeplätze sind alle schön mit einem gepflasterten Steinboden versehen – bei Regen sicher ein Hit, wenn allerdings den ganzen Tag die Sonne drauf brennt, saugen die Steine die Hitze auf und speichern diese stundenlang. Selbst wenn man sich dann spät abends auf die Isomatte schmeißt, liegt man wie auf einem heißen Grill gebettet. Entsprechend gerädert wachen wir am letzten Tag unserer Taiwan-Radreise auf und marschieren etwas damisch mit unserem Jausensackerl Richtung Strand. Wie am Vorabend nehmen wir am schmalen Holzbankerl Platz – relativ ruhig liegen Strand und Meer zu unseren Füßen. Ein paar „übriggebliebene“ Teenager torkeln vom Strand in unsere Richtung – sie haben offenbar die klare, laue Nacht durchgemacht und hoffen jetzt auf ein baldiges Öffnen der Lokale und Bars.
Als wir vom ersten kleinen Frühstück zu unserem Zeltplatz zurück kommen, sind auch unsere taiwanesischen Nachbarn gegenüber aufgestanden, die gestern ihr riesiges Zelt mit dem passenden Namen „Everest“ gegenüber von uns aufgeschlagen haben. Ein junges Pärchen mit Kleinkind und Mutter bzw. Oma haben darin übernachtet und während wir unsere Sachen packen, werfen sie ihren Kocher an, um Café zu kochen. Als die ersten beiden Tassen fertig sind, kommt der junge Mann zu uns und reicht uns die bis zum Rand mit heißem, schwarzem, herrlich duftendem Café gefüllten Becher. Wir sind wieder einmal völlig überwältigt von der für uns so überraschend netten Geste. Offenbar dachte die Familie, dass die müde und erschöpft wirkenden Radfahrer gegenüber einfach ihre Sachen packen und sich ohne Frühstück auf den Weg machen wollen. Wir nehmen sehr dankbar die Einladung an und gesellen uns für eine Weile zu ihnen. Auf unserer Karte zeigen wir der Familie unsere Route und die junge Frau (die als einzige ein wenig Englisch spricht) erklärt uns, dass ihr Mann auch Radfahrer ist und auch schon über den höchsten Pass gefahren ist. Auf die Frage, wie lange wir gebraucht haben und auf unsere Antwort, dass wir den Pass in zwei Tagen überquert haben, strahlen nach Übersetzung der jungen Frau die Augen ihres Mannes. Stolz erklärt sie uns dann, dass ihr Mann die Strecke an einem Tag gefahren ist, wobei er zeitgleich auf unsere voll bepackten Räder deutet und uns zu verstehen gibt, dass die Auffahrt mit so einem Gewicht seiner Ansicht nach natürlich verschärft ist. Wir genießen die Unterhaltung genauso wie den leckeren Café und hätten nicht gedacht, dass man mit Händen und Füßen derart nett miteinander kommunizieren kann.
Die letzte Etappe unserer Taiwan-Radreise fällt an sich in die Rubrik „ausradeln“ – so zumindest der Plan. Keine nennenswerten Highlights entlang der Strecke, keine wirklichen Steigungen … nur noch der Weg zum Bahnhof, um an der Westküste mit dem Zug zurück nach Taipeh zu fahren.
In unserer Straßenkarte machen wir Fangshan als erste Ortschaft mit Bahnhof aus – etwa 45km entfernt von Baisha.
Wir rollen die Küste genüsslich Richtung Norden, frühstücken sehr gut in Checheng, wo wir auch wieder von unserer schmalen Nebenstraße auf die 26er treffen.
Ab Fenggang (ca. km 35) wird der Verkehr spürbar dichter, da hier der Provincial Highway No. 9, auf dem wir 2 Tage zuvor noch unterwegs waren, von der Ostküste kommend mit der 26er zusammen trifft und ab nun als Provincial Highway No. 1 Richtung Kaohsiung – der zweitgrößten Stadt Taiwans – zieht.
Für uns in dem Moment halb so wild, da wir 10km später Fangshan erreichen. Unser GPS lotst uns zielsicher auf einer immer schmäler werdenden Straße Richtung Eisenbahn, deren Gleise einige Höhenmeter über dem Ort führen. An einer Kreuzung sehen wir ein verwahrlostes Schild Richtung Fangshan Station und eine holprige Steilrampe vor uns. Spätestens jetzt zweifeln wir, ob wir von Fangshan tatsächlich wie gedacht nach Taipeh kommen werden. Am menschenleeren Bahnhof schwitzend angekommen sehen wir nur einen Papierzettel an einem Pfosten hängen. Auf ihm zwei Uhrzeiten – eine früh morgens und eine spät nachmittags. So viele Stunden zu warten, ohne zu wissen, ob überhaupt und wohin und ob mit Rädern eine Mitfahrgelegenheit besteht, kommt für uns natürlich nicht in Frage. Also rollen wir wieder bergab Richtung Provincial Highway No. 1 und treten weiter Richtung Norden.
Nachdem wir ein paar Kilometer später nochmals vergeblich unser Glück bei einem leerstehenden Bahnhof versucht haben, beschließen wir gleich bis zur nächsten richtig großen Stadt (Chaozhou) zu fahren. Ab Fangliao (ca. km 60) nimmt die Dichte an Hochhäusern und breiten Straßen, die nach allen Richtungen ausstrahlen, von Kilometer bis Kilometer zu. Ohne Foto-Stopps oder Pausen treten wir mit vollen Watt in die Pedale, um möglichst schnell Chaozhou (Pingtung County) zu erreichen, möchten wir doch wenn irgendwie möglich noch heute „heimwärts“ nach Taipeh.
Nach langem hin und her am Bahnhofsschalter in Chaozhou ist es klar: wir können mit unseren Rädern von hier nicht bis Taipeh reisen, nur eine Fahrt nach Kaohsiung mit einer Art Schnellbahn, die in allen Bahnhöfen hält, wird uns angeboten. Der freundliche Mann am Schalter meint, wir sollen es doch dort nochmals am Bahn- oder Busbahnhof versuchen.
Immerhin fährt unsere Schnellbahn nach Kaohsiung nur wenige Minuten nach unserem Check-In ab. Wir ruckeln von Bahnhof zu Bahnhof und treffen etwa 1h später im Zentrum von Kaohsiung ein. Am Schalter dann ein ähnliches Feedback: heute gibt es gar keine Möglichkeit mit Rad im Zug nach Taipeh zu reisen. Frühestens morgen mit dem einzigen Zug, der auch Räder mitnimmt – das Prozedere (Rad-Aufgabe) klingt nicht gerade verlockend und auch der Preis ist durchaus stolz. Also beschließen wir unser Glück beim Busbahnhof zu versuchen, der nicht weit entfernt liegt. Und hurra – hier bekommen wir die heißersehnte Info: es fährt noch heute ein Bus nach Taipeh und die Fahrradmitnahme ist an sich möglich, falls wir sie für den recht kleinen/engen Kofferraum des Busses ein wenig auseinander bauen können (Laufräder und Sattel rausnehmen hat genügt). Wir bejahen und sitzen 15 Minuten später weich gepolstert in der fußfreien 1. Sitzreihe. Preislich kostet die Fahrt etwa ein Drittel der Bahnfahrt – für uns beide inkl. Räder 940 TWD (28,- EUR).
Abfahrt ist dann um 15.30 Uhr. Wir packen unser Jausensackerl aus und spüren, wie die Anspannung der letzten Stunden angenehm abfällt. Glücklich lassen wir unsere Blicke aus dem Fenster schweifen, beobachten das bunte Treiben im Zentrum der 2,7 Mio. Einwohner Stadt und sehen etwa auf der Höhe von Tainan City, wie die rote Sonne über den Dächern der Stadt verschwindet.
Fünf Stunden dauert die Fahrt insgesamt bis Taipeh. Einen WC-Stopp mit Einkaufsmöglichkeit im Supermarkt gibt es zwischendurch. Als wir möglichst nahe des Backpacker Hostels den Bus verlassen, heißt es schnell alle Taschen und Radteile aus dem Bus auf den Gehsteig zu laden. Danach haben wir es bald geschafft. Nur noch in Ruhe alles wieder zusammenbauen, die Taschen montieren und mit Hilfe des GPS im dichten Abendverkehr ab in die Lane 25, Kangding Road.
Als wir unsere Räder vor dem Backpackers Hostel parken, werden wir von Katie und ihren Kolleginnen nahezu kreischend vor Freude empfangen. Wir erzählen kurz wie toll alles war, beziehen danach dasselbe Zimmer wie vor unserer Reise, duschen, kleiden uns ins Reisegewand und marschieren Richtung erstbester Straßenküche, in der wir es uns zum Abschluss des Tages nochmals richtig schmecken lassen.