Die 4. Etappe wird kilometermäßig die längste unserer Rundfahrt. Sie beginnt mit einem frühen Kaffee direkt am Campingplatz und einer phantastischen Morgenstimmung am Seeufer. Bald strahlt der Himmel kräftig blau wie der See und entsprechend gutgelaunt fahren wir die Hauptstraße am See westwärts, bis eine schmale kaum befahrene Straße südlich abzweigt, die uns – immer an der Westküste des Sees entlang – wunderschön bis Capodimonte führt.
Ähnlich wie Castiglione am Vortag liegt auch Capodimonte malerisch auf einer Bergkuppe 150m über dem See und strahlt uns schon von weitem entgegen. Auf dieser Strecke treffen wir auch das einzige Rad-Fernfahrer-Paar unserer Reise: die beiden sind auf den letzten Kilometern ihrer Fahrt von Rotterdam nach Rom. Wir fahren ein paar Kilometer nebeneinander und erzählen uns gegenseitig von unseren Reisen.
In Capodimonte stärken wir uns dann mit einem 2. Frühstück in einem netten Strandcafé, bevor es weiter nach Viterbo geht.
Die 25 Kilometer auf der recht breiten Hauptstraße dienen einzig und allein, um von A nach B zu kommen. Entsprechend flott und ohne Zwischenstop spulen wir diese ab … und auch durch Viterbo navigieren wir auf Grund des enormen Verkehrs und der ungewohnten Menschenmassen möglichst schnell wieder hinaus, auch wenn es hier kulturell bestimmt viel zu entdecken gäbe.
Vor uns liegt jetzt ein 600 Höhenmeter Anstieg in die Monti Cimini oberhalb des Lago di Vico. Ansich bräuchte es diesen Schlenker auf unserem Weg Richtung Narni nicht – doch alleine ein Blick auf die Straßenkarte und Google Maps während der Planungsphase unserer Tour reichte, um diesen Abschnitt als definitiv lohnendes Ziel zu erkoren.
Über den malerischen Ort San Martino al Cimino erreichen wir den Kammweg des halbkreisförmigen Vulkan-Gebirgsstock. Leider gibt es entgegen unserer großen Erwartungen hier (noch) weit und breit keinen Panoramablick auf den ca. 400 Meter unterhalb ruhenden Lago di Vico. Wir fahren nördlich des Sees weiter aufwärts, bis wir zur einzigen an der Straße angekündigten Aussichtsplattform kommen. Diese erreichen wir nach ein paar Metern bergab durch den Wald, und genießen bald darauf ein leckeres Picknick mit traumhafter Aussicht.
Danach geht es für uns absolut unvergesslich weiter entlang des Monte Cimino: abertausende, unglaublich mächtige und mit grellgrünen Igeln üppigst bestückte Maroni-Bäume säumen die Straße nach Soriano nel Cimino. Kein Wunder dass sämtliche Edelkastanien in den heimischen Supermärkten aus Italien kommen. Für die Ernte sind wir hier allerdings leider etwas zu früh dran – das Kastanienfest „Sagra delle Castagne“ findet in Soriano am ersten und zweiten Wochenende im Oktober statt. Also begnügen wir uns mit den historischen Prunkbauten des kleinen Ortes, fahren durch unmenschlich steiles Gassenwerk zum Castello Orsini hoch, fotografieren auf der Piazza Vittorio Emanuele II und staunen wieder einmal, wie viele Sehenswürdigkeiten hier auf engstem Raum nebeneinander gereiht sind.
Ähnlich geht es weiter – immer wieder tauchen prachtvolle Ortschaften auf den zahlreichen Hügeln vor uns auf – kurz nach Bomarzo queren wir den Tiber und treten dann nach Giove hinauf, das auf der Liste der schönsten Dörfer Italiens steht („I borghi più belli d’Italia“). Hier stärken wir uns in einer Bar mit Soda Lemon und Kuchen, bevor es weiter nach Amelia geht – wieder eine Bilderbuchstadt in prächtigster Lage zwischen Tiber und Nera. Angeblich bereits 1135 v. Chr. gegründet blickt Amelia auf eine bewegte Geschichte zurück und würde uns wahrscheinlich länger fesseln, wenn es nicht schon recht spät und unser Etappenziel nicht so fern wäre.
In Fornole kaufen wir in einem Supermarkt Proviant, da wir nicht genau wissen, ob es am Campingplatz, den wir ansteuern, ein offenes Restaurant gibt. Nach einer längeren Abfahrt queren wir den Fiume Nera und kurbeln danach nochmals fast 200 Höhenmeter hoch nach Narni – Prädikat sehenswert. Es dämmert dann schon leicht, als wir 6 Kilometer nach Narni vor dem verschlossenen Tor des Campeggio Monti del Sole stehen und etwas verdutzt das Schild „Chiuso“ lesen. Wir läuten trotzdem und entnehmen einer zittrigen Stimme, dass gleich jemand kommt. Ein paar Minuten später wackelt uns ein geschätzt 80-jähriger, bestens gelaunter Mann auf seinem Fahrrad entgegen, öffnet das Tor, schreibt zittrig die Daten aus unseren Dokumenten auf Papier und lässt es sich nicht nehmen, uns abends mit seinem Auto zum nahe gelegenen Restaurant seines Freundes zu fahren. Dort spricht er kurz mit dem Besitzer und ruft uns beim Abschied noch ein „Tutto bene!“ zu – auf ein Getränk möchte er nicht eingeladen werden. Wir speisen kurz darauf im gut besuchten Restaurant das bisher beste Menü unserer Reise: Bruschetta con tartufo nero, Ravioli mit Salbei für Hana, Rindssteak mit Pradeissauce für mich, Erdäpfelchips und ein großer Teller gegrilltes Gemüse … anschließend chauffiert uns ein Kellner mit seinem Wagen zu unserem Campingplatz zurück. Es ist stockfinster und mucksmäuschenstill … wir schlüpfen in unser Zelt – glücklich und zufrieden eine derart lohnenswerte Königsetappe mit so zahlreichen Highlights erfahren zu haben.