Das Zelt ist erstmals so richtig klatschnass am Morgen. Auch ringsum sehen wir überall Morgentau. Der schattig-feuchte, nordseitige Steilhang des Monte Nerrone wird nicht als Traum-Zelt-Platz in die Annalen Radreisender eingehen. Wir packen dennoch gleich nach dem Aufstehen alles wie gewohnt in unsere Taschen, da es uns stark weiter zieht und wir beschließen, Zelt und Unterlagsmatte während unserer Mittagspause zu trocknen.
Unsere letzte Etappe haben wir bereits am Vorabend umgeplant: anstelle einer 2.000 Höhenmeter Hügel-Tour über San Marino entschieden wir uns aus Lust-Laune-Energie-Gründen für eine flachere Alternative (nur 1.000 Höhenmeter) mit einem längeren Finale am Meer.
Um 8.15 Uhr geht es quasi auf nüchternen Magen los. Nach einer kurzen, frischen Abfahrt nach Piobicco fallen wir in einer Bäckerei ein und holen in der Bar nebenan zwei Kaffee. Danach sind wir wieder halbwegs Mensch und strampeln die hügelige Route über Urbania nach Urbino. Für Sightseeing fehlt uns die Energie, obwohl es hier bestimmt eine Menge zu entdecken gäbe. Urbino ist wegen seiner Architektur und seiner Kulturgeschichte Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Wir sind schon alleine beim Anblick der Außenmauern des Palazzo Ducale schwerst beeindruckt, als wir nach 40 Kilometer Fahrt kurz auf einer Parkbank vor dem Palazzo rasten und durchatmen. Ab jetzt geht es bis ans Meer ca. 35 Kilometer lang tendenziell immer bergab – ein Wissen, das in dem Moment sehr gut tut, da wir uns heute erstmals so richtig groggy fühlen. Offenbar reichen dem Körper bereits leise Gedanken und Signale an das Ende einer langen, schwierigen Tour, um in einen „ich kann und mag nicht mehr“ Modus zu verfallen. 10 Tage immer um die 8 Stunden unterwegs zu sein und dabei ein 35 (bzw. 22) Kilogramm schweres Rad täglich zahlreiche Hügeln und Berge empor zu strampeln, zehrt mehr an der Substanz, als wir erwartet hatten. Vor allem wenn man es dabei – so wie wir – nicht immer schafft, die leeren Depots 100% „richtig“ aufzufüllen. So war z.B. die Pasta-Portion bei unseren Gastgebern gestern für unseren Bedarf viel zu klein … aus Höflichkeit konnten wir jedoch nichts sagen, da es an dem Tag (Montag) an sich keinen Restaurantbetrieb gab und die Mahlzeit daher ohnedies ein freundliches Entgegenkommen unserer Gastgeber war.
Mit diesen Gedanken und Gefühlen verlassen wir Urbino. Nach ein paar etwas steileren Kilometern bergab kommt von seitlich ein Rennradfahrer in gemäßigtem Tempo auf unsere Straße. Wir nützen die Gelegenheit und hängen uns in dessen Windschatten, da uns der kräftige Gegenwind nicht nur bremst sondern auch mental sehr fordert. Es gelingt uns zum Glück auch bei den kurzen Zwischensteigungen immer am Hinterrad zu bleiben und so bietet unser 3er Grupetto den vielen entgegenkommenden Rennradfahrern bis Pesaro einen offenbar recht seltenen und seltsamen Anblick.
In Pesaro navigieren wir auf die „Strada Panoramica Adriatica“, die sich nach einer ordentlichen Steilrampe für die nächsten gut 20 Kilometer immer an der Steilküste auf etwa 160m Seehöhe entlang schlängelt. Beim ersten größeren Park- und Rastplatz machen wir Mittagspause. Wir lassen glücklich unsere Blicke über den weiten blauen Horizont schweifen, bevor wir uns über unsere restlichen Vorräte hermachen und nebenbei Zelt, Unterlagsmatte und Schlafsäcke zum Trocknen und Lüften über sonnige Holzbänke ausbreiten.
Nach einer halben Stunde ist alles wieder staubtrocken und wir begeben uns sehnsüchtig nach so banalen Dingen wie Hotel, Dusche, frische Kleidung, Entspannen, Essengehen, … auf die letzten Kilometer unserer Rundreise. Die Fahrt durch Cattolica und Riccione bis nach Rimini Nord wird uns als nicht enden wollend und überaus qualvoll in Erinnerung bleiben, denn sie bietet alles, was wir die letzten Tage so gar nicht hatten: viel Verkehr, lethargische Strandtouristen, ein Ramschladen neben dem anderen … 25(!) Kilometer lang dasselbe Bild – eine elendslange Promenade. Selten haben wir eine Etappenziel und unsere Unterkunft so innig herbei gesehnt.
Irgendwann ist es dann aber soweit – wir zweigen auf den Parkplatz unseres Hotels ab, wo wir uns glücklich und erleichtert umarmen. Den Rest des Tages verbringen wir mit Körperpflege, Spazierengehen und Essen. Zum Schwimmen im Meer sind wir zu erschöpft – das holen wir dafür gleich am nächsten Morgen nach, bevor wir uns bei einem richtig ausgedehnten und wohltuend entspannten Hotel-Frühstück die schönsten Momente und Eindrücke der letzten 11 Tage in Erinnerung rufen. Danach vergehen 2 Wochen, bis wir uns wieder auf ein Fahrrad setzen …