Veneto Trail 2024

Veneto Trail 2024

Foto: © Veneto Trail

Obwohl wir uns vor über 10 Jahren vom Wettkampf-Sport verabschiedet hatten, wollte ich (Peter) auch einmal in die „Ultracycling“-Szene hineinschnuppern und bei einem self-supported Bikepacking-Bewerb an den Start gehen. Terminlich und logistisch am besten dafür geeignet schien mir der Veneto Trail – ein ca. 500km und 10.000 Höhenmeter Mountainbike-Abenteuer Mitte Juni mit Start und Ziel im italienischen Cittadella.

Hana überlegte auch teilzunehmen, entschied sich aber für ein eigenes Projekt und radelte von Cittadella mit ihrem Gravel-Bike 280 km über das Cadore-Tal und Cortina bis nach Hause, um unsere Gäste in den Ferienwohnungen nicht mehr als eine Nacht alleine zu lassen. Sie startete um kurz nach 7:00 Uhr bei unserem B&B nahe Cittadella und war um 23:00 Uhr wieder daheim, nachdem sie sich in Toblach mit einem vegetarischen Kebab (Falafel) gut gestärkt hatte und auch unseren obligaten, finalen 400 Höhenmeter Anstieg vom Drautal zu unserem Haus noch gut treten konnte.

Den Abend davor verbrachten wir gemeinsam beim Race Briefing und TeilnehmerInnen-Abendessen in Cittadella, zusammen mit Marcell, unserem Freund und Bike-Kumpel aus Irschen (u.a. Großvenediger Umrundung oder Zillertaler Hauptkamm Umrundung), der so wie ich heuer brav trainiert hat, um den Veneto Trail möglichst gut und flott zu finishen.

Fotos: © Veneto Trail

Mein ursprüngliches Ziel war es, Sonntag Abend gegen 20 Uhr wieder zurück im Ziel zu sein, um nur 1 Nachtfahrt zu haben. Doch allein schon die düsteren Wetterprognosen, die mich ein paar Tage zuvor stark zweifeln ließen, überhaupt nach Cittadella an den Start zu reisen, schienen etwas dagegen zu haben. Auch die zwei krankheitsbedingten Ruhewochen drei Wochen vor dem Start, dank einer aus Spanien (Montañas Vacías Extended) importierten Grippe, waren kein optimales Zeichen für eine Finisher-Zeit um die 35 Stunden. Aber das Training davor lief seit Jänner nahezu perfekt, sodass ich mich grundsätzlich körperlich und mental fit genug fühlte, es zu versuchen.

Ich schrieb mir vorab ein genaues Roadbook mit allen Eckdaten (km, hm …), mit Verpflegungspunkten, Wasserstellen, Pausen-Zeiten und der jeweils angepeilten Uhrzeit. Es schien machbar. Und dann war es so weit.

Samstag, 22. Juni 2024

450 TeilnehmerInnen sind bei der 9. Ausgabe des Veneto Trail zum Start in Cittadella gemeldet. Um 8:00 Uhr geht es mit einer gemeinsamen Runde durch die Altstadt los, bevor jeder/jede sein/ihr Tempo selbst wählt.

Fotos: © Veneto Trail

Die genaue Route ändert sich jedes Jahr ein wenig, aber die Dolomiten sind immer das Herzstück der Runde und mit dem Monte Grappa wartet heuer am Ende ein ganz besonderer Gipfel.

Die ersten Kilometer sind deutlich anspruchsvoller als erwartet. Zahlreiche kurze Anstiege und verwinkelte, schmale und teils ruppige Wege durch Weinberge und Waldstücke drücken den Schnitt ordentlich. Dazu kommt die brutale Hitze (35° im Schatten), die wir zu diesem Zeitpunkt noch so gar nicht gewohnt sind.

Foto: © Veneto Trail

Meinen anvisierten Mittags-Stopp in Calazo di Cadore (km 146) erreiche ich eine gute halbe Stunde später als geplant. Ich bestell mir einen Burger mit Salat und eine große Cola und fahr so schnell es geht weiter.

Der erste längere Anstieg (gute 600 hm) geht asphaltiert auf den Passo San Antonio, den Hana und ich bereits 2016 mit unseren Reiserädern gefahren sind, als wir von Tromsø/Norwegen bis nach Hause geradelt sind. Die Beine sind noch durchaus willig, nur mit der Atmung bin ich nicht ganz happy. Irgendwie bekomme ich weniger Luft als gewohnt. Die Hitze? Doch der etwas schwerere Rucksack bzw. Trailrunning-Weste? Nachwehen der Grippe? Erste Ermüdungserscheinungen? Vielleicht spielt auch bereits die mentale Komponente mit … die Enttäuschung, dass ich dem Zeitplan mittlerweile schon einiges hinterherhinke, da ich die ersten 160 Kilometer definitiv unterschätzt hatte. Egal, ist jetzt so … einfach ein paar Watt weniger treten als geplant und abwarten, wie es weitergeht. Immerhin komme ich jetzt in eine mir gut bekannte Gegend, die bis Cortina keine bösen Überraschungen bringen sollte.

In Candide erreiche ich den kleinen Supermarkt 1 Minute vor Geschäftsschluss und kann ein wenig Proviant kaufen, obwohl leider wieder einmal der Magen so gar nicht mehr will. Banane und Apfel gehen noch, dazu eine Cola … aber Appetit auf Müsliriegel, Salzmandeln oder gar Weckerln/Brote ist so gar nicht mehr vorhanden, ein Runterschlucken während der Fahrt mittlerweile unmöglich. Die mangelnde Energie-Zufuhr macht sich bei den folgenden Anstiegen entsprechend bemerkbar: weniger Watt und mehr zu Fuß als geplant.

Foto: © Veneto Trail

Den 2.320 m hohen Passo Silvella (Kniebergsattel) erreiche ich mit dem letzten Tageslicht. Ich hatte nicht damit gerechnet schon hier die Stirnlampe montieren und die Abfahrt nach Sexten im Dunklen fahren zu müssen, immerhin gemeinsam mit 2 anderen Teilnehmern, die kurz vor mir auf dem Pass waren, was das Navigieren und Ausleuchten der Piste vereinfachte. Und zumindest hat das prognostizierte Gewitter auslassen und ich komme trocken bis Toblach, wo ich um ca. 23:00 Uhr beim Bahnhofsbrunnen Wasser tanke, in Gedanken zumindest bis Cortina weiterzufahren, um mich dort kurz hinzulegen. Ich blicke beim Wassertanken auf die beleuchtete Bahnhofshalle von Toblach und beschließe nachzusehen, ob sie geöffnet ist … nicht nur das: sie ist auch beheizt, während es draußen mittlerweile immer feucht-nasser und kälter wird. Also beschließe ich hier zu bleiben, um kurz zu schlafen, in der Hoffnung dadurch wieder mehr zu Kräften zu kommen. Ich plaudere noch einige Zeit mit einem Teilnehmer aus Italien, der, wie später noch 4 andere, hier übernachten wird, während ich mit meinem Primus Lite Stove ein schnelles Fertiggericht koche (Trail Organic Food). Nachdem für mich eine gute Ernährung das Um und Auf bei derart langen Ausdauerfahrten ist und ich vorab wusste, dass es während der Nacht und auch morgens in den abgelegenen Dolomiten-Regionen lange Zeit keine Einkehroptionen geben wird, habe ich mich bei der Planung für das 1 kg Zusatz-Gepäck entschieden (Kocher-Set mit 500ml Topf, kleine Gaskartusche + 4 Packungen Fertiggerichte, dazu etwas Kaffee-Pulver). Das warme Essen tut richtig gut, die Blicke von meinem Gegenüber, der mittlerweile auch keine Panini mehr sehen kann, sprechen Bände. Anschließend lege ich mich in meinen Ultralight-Daunenschlafsack auf den Boden im Vorraum, wo ich alleine bin, die Daunenjacke als Kopfkissen, stelle den Wecker in 2 Stunden und schließe die Augen. Die anderen Italiener schalfen in den beiden Warteräumen.

Zwar habe ich die ganze Zeit das Gefühl nicht wirklich zu schlafen, aber irgendwann ist es doch der Handy-Wecker, der mich aufschreckt. Wieder werfe ich den Kocher an, der in ca. 1 Minute heißes Wasser für ein Fertiggericht (Müsli) und Kaffee liefert. Anschließend packe ich schnell alles zusammen und starte um ca. 3:00 Uhr in den Sonntag. Die Beine sind immerhin voll tretfreudig, auch wenn es ein großes Fragezeichen bleibt, ob meine Energie für die kommenden 285 km mit etwa 7.000 Höhenmetern reichen wird. Nochmals irgendwo „schlafen“ möchte ich keinesfalls, da ich spätestens Montag mittags wieder mit dem Auto nach Hause muss/möchte. Die Frage, ob ich finishen werde oder bereits in Cortina oder nach dem ersten von vier längeren Dolomiten-Anstiegen des heutigen Tages aussteigen und flach im Tal zurückrollen werde, kann ich momentan so gar nicht beantworten. Auch das Wetter wird heute mit Sicherheit noch eine große Rolle spielen. Es nieselt bereits leicht und ab spätestens 7:00 Uhr sind stärkere Regenfälle in den ganzen Dolomiten gemeldet und in 2.400 m Höhe wird es eiskalt werden. Mal sehen …  

Cortina (km 255) ist schnell erreicht und langsam dämmert es. Ich spare mir eine Pause und starte den (mir bis dahin unbekannten) Anstieg zum 2.413 m hohen Rifugio Averau. Wahnsinn, ist der von Beginn an steil! Selbst ein paar Asphaltabschnitte muss ich das Bike schieben, um durch etwas Abwechslung in der Bewegung eine zu lange intensive Belastung beim Treten zu vermeiden. So geht es langsam berghoch, mittlerweile im kräftigen Regen, für den ich rechtzeitig die Gore-Tex-Montur übergestreift habe.

Im 2.137 m hohen Rifugio Cinque Torri muss ich rasten. Es regnet und ich habe definitiv Energiebedarf. Meine Müsliriegel und Salzmandeln gehen wieder nicht die Speiseröhre runter. Ich hoffe auf eine warme Suppe in der Hütte … negativ. Es ist Frühstückszeit und niemand in der Küche, der die auf der Karte angepriesene Minestrone aufbereiten kann/möchte. Zu schade. Ich versuche es mit einem Kräutertee – ich durchstöbere die mir offerierte Teebeutel-Box und finde als einzigen Kräutertee: Kamille … und siehe da, schon nach den ersten Schlucken fühlt sich der Magen deutlich besser und aufnahmebereiter an als zuvor. Ich wähle noch eine Ricotta-Torte und auch die geht zum Glück gut in den Magen. Immerhin.

In dichtem Nebel, bei Regen und schweren Bodenverhältnissen (tiefer Dolomitenschotter) geht es – großteils zu Fuß – weitere 300 Höhenmeter hoch zum Rifugio Averau. Wieder versuche ich mein Glück hinsichtlich einer Suppe, wieder ohne Erfolg. Also weiter.

Der Downhill zum 400 hm tiefer gelegenen Rifugio Fedare ist steil aber trotz Nässe kein Problem. Immerhin ist noch auf Reifen und Bremsen Verlass, das motiviert. Die „wasserdichten“ Handschuh sind mittlerweile fetznass und die Finger eiskalt, aber der Körper dank Regen-Hose und -jacke halbwegs warm.

Plötzlich sehe ich eine Person beim Rifugio Fedare mir zuwinken. Es ist Marcell. Er war gestern bärenstark unterwegs und ist bis oberhalb von Cortina gefahren, wo er sich in einer Skistation zum Schlafen niedergelegt hatte. Marcell ist heute etwas später gestartet als ich und hat soeben den Regen im Rifugio ausgesessen. Wir beide sind froh, dass wir uns hier oben wieder treffen, nachdem wir zu Beginn des Rennens einige Kilometer gemeinsam gefahren sind. Viele Teilnehmer sind nicht vor uns, maximal drei, von denen zwei jedoch hier den Abschneider über die Passo-Giau-Straße nach Selva di Cadore genommen haben, wie Marcell gesehen hat. Für uns geht es hier nochmals 120 hm berghoch und anschließend auf einer langen Single-Trail-Abfahrt über rutschige Steine und Wurzeln und mit einem giftigen Gegenanstieg nach Colle Santa Lucia. Marcell ist bald wieder vor mir, jeder fährt hier sein Tempo.

Fotos: © Veneto Trail

In Pescul halte ich in einer Bar und bestelle Tee und einen Schinken-Käse-Toast. Pasta oder Suppe sind um diese Uhrzeit nach wie vor nirgendwo zu bekommen.

Es folgen jetzt 3 weitere Dolomiten-Anstiege mit 590, 420, und 540 Höhenmetern, die teilweise gut fahrbar sind, und teilweise wieder über steilen, tiefen Dolomitenschotter führen. Dass die Dolomiten wunderschön zum Anschauen und großteils einfach nur mühsam zum Wandern und Biken sind, war schon vor dem Veneto Trail immer meine Meinung. Und diese These bewahrheitet sich auch hier und heute, nicht zuletzt beim frustrierend langen Anstieg Richtung Rifugio Bruto Carestiato. In meinen mehr als 30 Jahren Mountainbiking habe ich nirgendwo ansatzweise so viele Kilometer zu Fuß zurückgelegt, wie gestern und heute beim Veneto Trail. Klar, wäre ich hier im Zuge einer schnellen Tagestour frisch und munter unterwegs, könnte ich deutlich mehr Passagen fahrend zurücklegen als nach 320 km und 8.500 Höhenmetern in den Beinen und mit dem Wissen, dass noch weitere 190 km und 3.000 Höhenmeter warten. Dazu die widrigen Wetterverhältnisse. Einen kurzen Starkregen mit Hagelkörnern warte ich unterhalb des Col della Besadora in einem hölzernen Unterstand ab.

In Agordo (km 335, Seehöhe 630 m) sind Regen, Kälte und Dolomitenschotter geschafft. Es ist bereits 16:30 Uhr und mittlerweile fix, dass ich in die 2. Nacht hineinfahren muss. Erstmals stellt sich mir im Kopf die Frage, ob ich genügend Akku-Kapazitäten für die 2. Nacht haben werde. Meine Frontleuchte/Bike und Helmlampe hatte ich in der 1. Nacht nicht wirklich geschont, da ich ja ursprünglich mit nur 1 Nachtfahrt gerechnet hatte. Wird also auch noch spannend …

Jetzt heißt es allerdings einmal pausieren und wieder etwas Ordentliches, Warmes essen. Allerdings habe ich in Agordo so überhaupt keine Lust, in den gut besuchten Lokalen erstens nach einem kräftigenden Essen (keine Panini-Bar) Ausschau zu halten und zweitens möglicherweise längere Zeit auf Service, Essen und Rechnung zu warten. Also heize ich beim Brunnen im Zentrum wieder meinen Gaskocher und fülle eine weitere Packung Fertigessen mit heißem Wasser. Umrühren, paar Minuten warten und dann ab in den Magen damit.

Noch einmal geht es ca. 400 Höhenmeter berghoch, bevor die lange, mir bekannte (RR Bikepacking Veneto/Trentino) Asphalt-Abfahrt zum Lago del Mis beginnt mit den anschließenden, quasi flachen 70 km nach Feltre und San Rocca am Fuße des Monte Grappa. Aber selbst hier kann ich den anvisierten Schnitt nicht ansatzweise halten, da kräftiger Gegenwind ab dem Lago del Mis das Tempo drosselt. Was soll’s … die Dolomiten-Pässe bei Graus-Wetter sind geschafft, der große Regen sollte vorbei sein und ich bin immer noch „im Rennen“, was ich gestern Abend in Toblach nicht für möglich gehalten hätte. Im Kopf kreisen die Gedanken jetzt verstärkt um eine Frage: wie viele Stunden muss ich jetzt dann im Dunklen fahren und habe ich genügend Akku-Ladung in meinen Lampen? Die Mini-Powerbank, an die ich mein Handy gehängt habe, damit die GPS-Ortung (WHIP LIVE App zwecks Live-Tracking) aktiviert ist, kann meine USB-C-Frontleuchte nochmals beinahe vollladen. Für meine Stirnlampe habe ich keine Lademöglichkeit mit. Wenn ich jetzt noch 7h im Dunklen durchfahre, muss ich definitiv bergauf Akkusparen, d.h. mit geringer Leuchtkraft fahren, damit ich bei der Abfahrt vom Monte Grappa mit voller Ausleuchtung ordentlich bergab komme.

Feltre (km 405) erreiche ich mit Einbruch der Dämmerung. In einer Osteria esse ich einen super leckeren Sandwich: dunkles Brot mit Hühnerfleisch, Saucen und Salat. Nach dem ersten Bissen bestelle ich gleich noch einen Zweiten zum Mitnehmen. Der sympathische Kellner kann es nicht glauben, dass ich jetzt noch zum Monte Grappa hoch möchte, draußen ist es mittlerweile finster.

Der schmale Trail entlang des Lago di Corlo erfordert bereits volles Licht. Das Navigieren in der Dunkelheit im verzweigten Wegenetz ist nochmals eine extra Herausforderung. Endlich erreiche ich die Ortschaft Rocca am Fuße des Monte Grappa. Ich fülle nochmals meine beiden Trinkflaschen (letzte Gelegenheit) und starte durchaus etwas nervös den ersten Grappa-Anstieg. Ca. 900 Höhenmeter geht es jetzt in Serpentinen teilweise richtig steil berghoch. Ich wechsle alle paar hundert Meter zwischen Treten und Schieben, sobald es „zu steil“ wird. Die Beine treten noch überraschend willig und im Takt der Musik, mit der ich mich mittlerweile via MP3-Player zusätzlich motiviere. Nach eineinhalb Stunden erreiche ich die Asphaltstraße und damit ein kurze Entschärfung der beinharten Steigung, bevor es rechts ab geht in einen finsteren, tief matschigen und mit riesigen Pfützen übersäten Waldweg. Ein paar Mal muss ich ausklicken und bin extrem froh mit etwas Glück und noch ausreichend funktionierender Koordination nicht in eine der Schlammlacken zu stürzen. Die Sicht ist extrem schwierig, es ist nebelig-feucht und die Frontleuchte kann/möchte ich nicht voll aufschalten, aus Angst dann kein/nicht genügend Licht für die lange Abfahrt zu haben.

Irgendwann ist auch dieser höllische Abschnitt geschafft und bei Bocchette begint der finale 500 Höhenmeter Anstieg zum Rifugio Bassano (1.720 m). Irgendwann sehe ich vor mir das Licht einer Stirnlampe, also einen Teilnehmer unmittelbar vor mir. Ich komme rasch näher und überhole einen Italiener (Andrea), der bereits sichtlich gezeichnet ist von den Strapazen. Ich frage, ob alles OK sei und nach seinem „si, si, tutto bene“ schiebe ich flotten Schrittes weiter berghoch den schmalen, sehr steinigen Pfad. Als ich bereits den Gipfel das Monte Grappa erahnen kann, sehe ich 2 weitere Lichter vor mir. Unglaublich, jetzt bin ich seit 15 Stunden keinem Teilnehmer begegnet und hier am Monte Grappa kommt plötzlich Rennatmosphäre auf, da ich weiß, dass wahrscheinlich nur 2 oder 3 Personen vor mir sind. Und so ist es auch. Am Gipfel treffe ich Marcell, der mit Cristiana und Andrea aus Italien seit etwa Agordo gemeinsam gefahren ist, da er Probleme mit seinem GPS hatte. Die beiden waren plötzlich vor uns, obwohl Marcell als Zweiter und ich als Dritter in die lange Single-Trail-Abfahrt oberhalb des Rif. Fedare gefahren sind. Auf Strava werden wir am nächsten Tag auch sehen, dass die Italiener über die Asphaltstraße vom Passo Giau einen Teil abgekürzt hatten. Uns kann es jetzt egal sein, wir freuen uns riesig über das Wiedersehen und starten gemeinsam in der stockdunklen Finsternis gegen 3:30 Uhr die lange, finale Abfahrt nach Bassano del Grappa. Im oberen Teil geht es einige Zeit steiler bergab über schmale Wiesentrails im hohen Gras. Volle Konzentration ist nochmals gefragt, da der Boden extrem nass und rutschig ist und man Steine oder Wurzeln durch das hohe Gras kaum erkennen kann. Es ist absolut faszinierend, wie Körper und Geist immer noch 100% aufmerksam und wach sind, obwohl ich mittlerweile seit über 24 Stunden durchgehend unterwegs bin bzw. in den letzten 43 Stunden nur 2 h richtig geruht habe (flach gelegen bin).

Die lange Abfahrt wechselt zwischen Single-Trails, Schotter- und Asphalt-Abschnitten. Auch gibt es nochmals richtig fiese Gegenanstiege. Auf einem finsteren, steilen Single-Trail erkennen wir eine schmale Links-Abzweigung zu spät und müssen wieder ein paar Meter zu Fuß steil bergauf retour, was zu diesem Zeitpunkt besonders mühsam ist.

Gegen 5 Uhr morgens erreichen wir schließlich Bassano del Grappa – erleichtert und glücklich, dass wir jetzt nur noch ca. 35 flache Kilometer vor uns haben, das Ganze bei Tageslicht. Der Trail am Ufer des Brenta ist zwar auch passagenweise wurzelig und mit Gatsch und Pfützen garniert, aber wir merken richtig, wie uns das jetzt alles egal ist, weil wir wissen, dass wir es bald geschafft haben werden. Um 6.40 Uhr ist es dann soweit: Marcell und ich fahren in Cittadella gemeinsam ins Ziel ein, wo wir uns hinter dem Italiener Cristian Santucci als 2. und 3. in die Finisher-Liste eintragen. Wir bekommen von den Veranstaltern Pasta, Obst und Bier, duschen ausgiebig und schön heiß und liegen kurz darauf in der großen Sporthalle auf weichen Matten. Binnen kürzester Zeit schlafen wir tief und fest.