Eigentlich wollten wir Mitte/Ende Mai mit unseren Mountainbikes nach Montenegro, um dort für zwei Wochen mit leichtem Gepäck (ohne Zelt) eine Runde durch den bergigen Balkanstaat zu drehen. Alle Etappen und Quartiere hatten wir bereits detailliert geplant, nur das Wetter wollte es anders. Den Start Mitte Mai hatten wir wetterbedingt bereits eine Woche nach hinten verschoben, aber auch danach zeigten alle Wetter-Apps für den Süden – von Spanien bis zum Balkan – täglich jede Menge Regensymbole. Gleichzeitig kündigte sich für den Norden ein ungewohnt stabiles Hoch an, sodass wir relativ spontan (fix dann erst 2 Tage vor Abreise) auf Norwegen umdisponierten. Verlockend war für uns vor allem die Aussicht auf frisch ausgefrästen Bergstraßen inmitten von meterhohen Schneewänden zu radeln, da wir eine derartige Umgebung bisher auf keiner unserer Radreisen hatten.
Im Sommer 2016 hatten wir uns bereits in die skandinavische Halbinsel verliebt, obwohl uns damals in 6 Wochen Norwegen/Schweden die Sonne nicht wirklich verwöhnte. Doch die sensationelle Landschaft, die langen Tage im Sommer und vor allem der durch das Jedermannsrecht manifestierte Segen, sich in der Natur rund um die Uhr frei bewegen zu dürfen, haben es uns von Beginn an angetan und speicherten Norwegen als absolutes Radreise-Juwel in unserer Erinnerung.
Eine Runde im Süden Norwegens hatten wir schon länger auf unserer Wunschliste und konkret überlegt, also brauchten wir nicht viel Zeit für die genaue Streckenplanung. Nur mögliche Wintersperren einiger Bergstraßen ließen uns im Voraus etwas zittern. Mitte Mai waren ein paar Straßen auch im Süden auf https://www.vegvesen.no/trafikk/kart# noch als gesperrt markiert. Auch einige Webcams (u.a. rund um Røldal) zeigten teils noch massiv Schnee in den bergigeren Regionen. Die Wintersperre des Suleskarvegen von Rysstad Richtung Lysebotn wurde erst eine Woche vor unserer Ankunft aufgehoben. Aber gerade die Aussicht auf schier endlose Asphaltbänder durch meterhohe Schneewände – das Ganze bei strahlend blauem Himmel – bekräftigte uns in der Entscheidung, statt in den Süden wieder einmal in den hohen Norden aufzubrechen.
Auch für die Anreise mussten wir im Voraus nichts planen oder buchen. Mit dem Auto fuhren wir von daheim die ca. 1.500 km schnurgerade in den Norden nach Hirtshals/Dänemark, wo wir unser Auto parkten und nur mit den Rädern die Fähre nach Kristiansand nahmen (Color Line – ca. 3:15 h Überfahrt – Ticktes ohne KFZ bekommt man erfahrungsgemäß zu jeder Jahreszeit auch spontan).
Übersicht
Video
Es gibt auch wieder ein kurzes (4:28 min) Video auf YouTube als Appetitmacher auf unseren Reisebericht:
Etappe 1
Unser erstes anvisiertes Highlight der Reise sind der Suleskarvegen und der Lysevegen. Etwa 75 Kilometer führt hier eine traumhafte, schmale Asphaltstraße fast immer über der Baumgrenze von Rysstad nach Lysebotn. Nachdem unsere Wetter-Apps in dieser Region erst den Dienstag als ersten wolkenlosen Tag vorhersagen, fügen wir zu Beginn eine kleine Extra-Schleife ein, um nicht zu früh in Rysstad zu sein. Also wählen wir für den Beginn den Nordseeküstenradweg (EuroVelo 12 / Nationale Fahrradroute 1) und peilen einen vorab auf Google Maps recherchierten Zeltplatz an der Küste für unsere erste Nacht an. Die Strecke ist durchaus hügelig mit zahlreichen kurzen Anstiegen und Abfahrten und für norwegische Verhältnisse durchaus dicht besiedelt. Verlockende Zeltplätze entlang der ersten 40 Kilometer von Kristiansand Richtung Mandal sehen wir keine. Umso glücklicher schätzen wir uns abends an unserem idyllischen Zeltplatz direkt in einer geschützten Bucht, nur ein paar hundert Meter abseits der Hauptroute. Eine Familie mit Boot übernachtet auch hier, sodass wir unser Zelt ein paar Meter abseits der Wiese im heimeligen Waldstück aufstellen.
Etappe 2
Auch für unsere 2. Nacht hatten wir bereits vorab einen Zeltplatz recherchiert: die Overnight Shelter am Gaseflafjorden, einem der zahlreichen Seen, den die Otra (Norwegens neuntlängster Fluss) durchfließt. Bis dorthin sind es gemütliche 65 Kilometer mit knapp 700 Höhenmetern, gerade richtig für einen langsamen Beginn nach der langen Anreise mit Auto und Fähre.
Ein sehr schöner Abschnitt führt uns am Daleveien auf einer geschotterten Piste entlang eines tosenden Flusses (Marna) nordwärts, eher wir über einen ersten längeren Anstieg (gut 300 Höhenmeter) zum Sandlandsvannet gelangen – einem blitzblauen See mit kleinem Sandstrand, an dem wir unsere Mittagspause einlegen.
In der kleinen Orschaft Hægeland kaufen wir im Spar-Markt ordentlich Proviant, da das lange Pfingstwochenende bevorsteht und wir voraussichtlich erst wieder am Dienstag einkaufen werden. Mit prall gefüllten Taschen geht es die letzten Kilometer herrlich am Ufer des Gaseflafjorden entlang, auf der geschotterten Piste der Nationalen Fahrradroute Nr. 3, die von Kristiansand direkt Richtung Norden führt. Bei den wunderbar ruhig gelegenen Shelter-Plätzen machen wir es uns dann richtig gemütlich, waschen uns im frischen See und kochen bald darauf ein feines Abendessen. Einem einheimischen Radfahrer helfen wir mit WD40 aus und plauschen danach noch etwas länger – ansonsten sind wir völlig allein an diesem traumhaften Platz, der nur für Radfahrer/Fußgänger und Paddelboote erreichbar ist.
Etappe 3
Heute wartet eine richtige Genuss-Etappe auf uns. Über tolle Schotterpisten (alte Bahntrasse) und schmale, verkehrsarme Asphaltstraßen geht es für uns 83 km nahezu schnurgerade in den Norden, immer entlang der Otra sowie gigantisch großer Seen, die dieser mächtige Fluss durchfließt. Wir folgen dabei großteils der ausgeschilderten Fahrradroute Nr. 3, an die wir Tage später entlang der Küste oft noch sehnsüchtig zurückdenken werden. Sehr naturnah, einsam und ruhig geht es hier quasi ohne Anstiege durch eine sehr norwegentypische Landschaft: riesige Seen, ein reißender Fluss mit spektakulären Stromschnellen (zumindest bei Schneeschmelze), gesunde Nadelwälder …
Auf der parallel führenden, breit ausgebauten Hauptstraße Nr. 9 ist heute (Pfingstsonntag) früh morgens so gut wie gar kein Verkehr – also legen wir ein paar Kilometer zu Beginn auch flott und entspannt auf astreinem Flüsterasphalt zurück.
Beim Pick-Nick-Platz „Syrtveitfossane“ führt Richtung Stromschnelle ein gemauerter Steg, an dessen Ende man die enorme Fließkraft der Otra hautnah zum Spüren bekommt. Kurz darauf quert man über eine schmale Fußgänger-Radfahrer-Brücke die Staumauer (Byglandsfjord Dammen) und erreicht das Westufer des 34 km langen Byglandsfjords. Die schmale, verkehrsarme Asphaltstraße Fv304 ist offenbar auch eine sehr beliebte Strecke für Rennradler (Sonntag/Feiertag), aber auch mit vollbepackten Reiserädern macht dieser Abschnitt hier richtig Spaß.
Für die 3. Nacht im Zelt wählen wir heute den „Reiårsfossen Camp“ am Fuße des gleichnamigen, imposanten Wasserfalls. Der nette Campingplatz ist noch so gut wie leer (Vorsaison) – Rezeption und Bar/Restaurant sind geschlossen, man wirft den Geld-Betrag (auch EUR werden akzeptiert) in einem Kuvert mit Namen + Datum einfach in eine Box – Radreisende genießen 50% Rabatt auf den ohnehin recht günstigen Standardtarif für einen Stellplatz mit Zelt. Bad + WC sind auch sehr sauber – alles in allem ein perfekter Platz für uns mit etwas Komfort (heiße Dusche, Steckdose), bevor es morgen in die Berge und damit in die Kälte geht.
Etappe 4
Nach wie vor versprechen alle Wetter-Apps für morgen strahlenden Sonnenschein in den Bergen. Heute gibt es dort noch einige Wolken und kräftigen Wind, aber wir beschließen trotzdem schon heute den ersten Anstieg zu fahren, um dann morgen Früh bereits über der Baumgrenze zu sein und das besondere Licht der Morgensonne genießen zu können.
Die ersten 30 Kilometer am Radweg Nr. 3 sind ähnlich wie gestern. Es geht sehr einsam und naturnah auf schmalen Asphalt- und Schotterpisten am – stromaufwärts gesehen – rechten Ufer der Otra entlang nach Rysstad.
Mit Beginn des Anstiegs zum Brokke Alpinsenter ziehen Wolken auf und es wird schnell zunehmend frischer. Wir befinden uns bereits am legendären Suleskarvegen, der höchsten Straßenverbindung im Südwesten Norwegens (höchster Punkt: 1.050 m). Es dauert auch nicht lange, da zieren letzte Schneereste die umliegende Landschaft und je höher wir steigen, desto imposanter werden auch die ausgefrästen Schneemauern am Straßenrand.
Radfahrer sehen wir außer uns keine, aber es sind am heutigen Feiertag (Pfingstmontag) einige Autos und Motorräder unterwegs – alles aber noch sehr entspannt. Weniger entspannend ist der immer heftiger werdende Wind, der sich auf seinem Weg über die gigantischen Weiten der schneebedeckten Hochebenen ordentlich abkühlt.
Wir merken bald, dass es heute nicht einfach werden wird, einen geschützten Platz für die Nacht zu finden und beschließen schon am frühen Nachmittag beim „Sandvigvatnet rasteplass“ (ca. 875 m Höhe) den Windschutz des Gebäudes zu nutzen. Der Rastplatz liegt am Fuße der Staumauer des riesigen (29,5 km²) Bergsees Rosskreppfjorden und hat hinter dem Toiletten-Häuschen einen überdachten Rastplatz mit Tischbänken. Ab dem späteren Nachmittag sind wir dann auch so gut wie allein weit und breit. Wir waschen uns schnell und schlüpfen danach in all unsere Kleidungsschichten. Auch unsere extra für die zapfigen Bergetappen eingepackten Fleece-Decken kommen heute zum Einsatz und wärmen uns gut – ein wenig Luxus, aber momentan kein Fehler.
Etappe 5
Was für ein Morgen! Die Tage sind selbst im Süden Norwegens um diese Jahreszeit enorm lang. Kurz nach 4:30 Uhr hat es die Sonne bereits zu uns geschafft und taucht das felsdurchsetzte, großteils schneebedeckte Bergplateau sowie die mit Eis und Eisschollen bedeckten Seen in ein phantastisches Licht.
Für die ersten 12 Kilometer des Tages brauchen wir heute sehr, sehr lange. Oft müssen wir stehen bleiben und das prachtvolle Panorama bestaunen und fotografieren. Im Vergleich zu gestern ist es komplett ruhig am Suleskarvegen – noch keine Touristen und nur ein paar wenige Einheimische am Weg zur Arbeit.
Nach einer ca. 350 Höhenmeter Abfahrt finden wir am Ortsrand von Suleskard neben der Straße einen Joker-Supermarkt, der zu unserer großen Freude bereits geöffnet hat. Wir kaufen ein paar Zimt-Brötchen (Kanelboller) und jausnen gemütlich auf der sonnigen Tischbank am Parkplatz. Herrlich, wie angenehm warm es heute im Vergleich zu gestern ist – kaum Wind und ein strahlend blauer Himmel erlauben es uns ohne Beinlinge und Jacken weiter zu fahren.
Der kurze, nahezu schneelose Abschnitt ist für die Augen ein willkommener Kontrast, bevor wir wieder an Höhe gewinnen und uns bald wieder umzingelt von gletscherblauen Eis-Lacken und schneebedeckten, weiten Bergrücken befinden.
Gut 20 Kilometer geht es über diese traumhafte Höhenstraße stets leicht bergauf und bergab, bevor die lange, kurvige Abfahrt nach Lysebotn (Meeresfjord) beginnt. Wir passieren hier auch den touristischen Hotspot „Kjerag“, an dem zum ersten Mal seit langem wieder etwas mehr Wohnmobile, Busse, Autos und Motorräder parken. Einer der berühmtesten Felsen Norwegens ist von hier aus zu erwandern, der Kjeragbolten, ein in luftiger Höhe eingeklemmter Felsblock.
Wir stürzen uns ohne lange Pause die ca. 900 Höhenmeter hinunter zum Lysefjord, buchen online (kolumbus.no) ein Ticket für die kleine Fähre (offizielle Kapazität: 72 Passagiere und 7 Autos) und fahren mit dem Schiff bis zur Station Songesand, wo wir die einzigen Passagiere sind, die hier von Bord gehen.
Über eine schmale Bergstraße möchten wir morgen nach Årdal an die RV13 gelangen. Als wir in der einsamen und nahezu verkehrsfreien Gegend bei einem winzigen Campingplatz vorbeikommen, beschließen wir zu bleiben, um uns nach den zwei außergewöhnlichen Bergetappen wieder etwas Komfort zu gönnen. Außer uns ist nur ein junges Paar aus den Niederlanden, das zum Wandern hier ist, beim Songesand Camp … und – zum ersten und letzten Mal auf dieser Reise – ein paar nervige Midges, sodass wir beim Frühstück am nächsten Morgen unsere Moskitonetze über die Köpfe stülpen.
Etappe 6
Heute wartet einmal eine etwas längere Etappe auf uns – am Ende werden es 95 km und 1.778 hm sein. Wettermäßig ziehen heute jede Menge Wolken durch die umliegenden Regionen, aber morgen und übermorgen soll es wieder großteils wolkenlos werden, was wir für zwei weitere Bergetappen von Sauda über die 520er nach Røldal und weiter über den Røldalsfjellet zum Åkrafjorden nutzen möchten.
Auch heute geht es von Beginn an stetig berghoch. Über 500 Höhenmeter ist der Anstieg zum Sandvatnet – ein absoluter Geheimtipp abseits der umliegenden Touristen-Routen. Obwohl wir auf Grund der dichten Wolken, aus denen es etwa eine Stunde auch etwas regnet (der einzige Regen auf dieser Reise), nicht alles von der grandiosen Landschaft ringsum sehen, wirken die großen Bergseen, die von wilden Felsformationen umgeben sind, wieder einmal überwältigend.
Auch die einsame Abfahrt auf der feinen, schmalen Asphaltstraße ist ein Genuss, ehe wir zurück in der Zivilisation, nämlich auf der RV13 und kurz darauf in Årdal landen, wo wir im Coop-Supermarkt etwas Proviant kaufen.
Nächstes Highlight ist die kurze (kostenlose) Fährfahrt von Hjelmelandsvågen nach Nesvik, von wo aus wir der RV13 noch etwa 30 km weiter folgen. Verkehrsmäßig ist es ab hier auf der 13er – wahrscheinlich nicht zuletzt wegen der Unterbrechung durch die Fährfahrt – angenehm ruhig. Auf der anschließenden RV517 halten wir ab der Hamra-Tunnelumfahrung Ausschau nach einem geeigneten Zeltplatz – lange ohne Erfolg. Auch zwei Abstecher in seitliche Schotterpisten sind vergeblich, da wir noch nicht müde genug sind, als dass wir auf unsere angestrebte „Güteklasse“ hinsichtlich der Platzwahl zum Übernachten verzichten möchten.
Kurz vor Ropeid werden wir zwischen zwei Tunnels bei einer abzweigenden Schotterpiste fündig. Kein Traumplatz, aber uneinsichtig, ruhig und sogar mit einem Bach nebenan für eine erfrischende Wascheinheit.
Etappe 7
Die ersten 30 Kilometer bis Sauda geht es ähnlich wie gestern wieder hügelig am Fjord entlang. Eine geschotterte Tunnelumfahrung und zwei große Wasserfälle sorgen für etwas Abwechslung. Im hübschen, kleinen Hafenstädtchen Sauda kaufen wir im Bunnpris-Supermarkt Proviant und legen eine kurze Tee- und Kanelboller-Jause ein.
Danach beginnt der lange Anstieg über den Hellandsbygdvegen (Rv 520) Richtung Røldal. Zuerst geht es lange in einer wilden Schlucht bergauf, ehe die Landschaft nach der kurzen Zwischenabfahrt in die kleine Ortschaft Hellandsbygd etwas weiter und aussichtsreicher wird.
Richtig spektakulär wird es ab ca. 650 m Höhe bei den ersten größeren Seen, die teilweise wieder von gletscherblauem Eis bedeckt sind. Unzählige Hütten stehen seitlich der Straße an teilweise sehr exponierten Stellen. Viele sind durch das begrünte Dach gut getarnt und fügen sich harmonisch in die sonst unberührte Landschaft ein. Verkehr ist extrem wenig, sodass der teilweise recht steile Anstieg dennoch richtig Freude macht.
Noch einmal möchten wir möglichst weit oben zelten, um am nächsten Morgen wieder die phantastische Lichtstimmung der schneebedeckten Berglandschaft zu erleben. Diesmal ist es auch deutlich wärmer und windstiller als noch vor drei Tagen am Suleskarvegen. Wir lassen uns am Nachmittag in der Nähe der Svartavatnet Staumauer nieder und genießen es, wie kräftig die Sonne herunter heizt. Auch die Wascheinheit in einem herrlichen Bach ist heute keine große Überwindung, obwohl das Wasser eisig kalt ist.
Etappe 8
Um 4:30 klingelt unser Wecker und kurz nach dem Aufstehen sehen wir schon die schneebedeckten Berghänge ringsum in einem kräftigen Orange leuchten. Nach einem wärmenden Frühstück geht es gut eingepackt die letzten Höhenmeter der Rv520 Richtung Passhöhe. Inmitten von meterhohen Schneewänden und noch viel höheren Schneestangen schlängelt sich die schmale Bergstraße wie ein graues Asphaltband durch die märchenhafte Landschaft. Unsere Blicke schweifen immer wieder über riesige, teils eisbedeckte Seen und der Foto-Finger glüht.
Bald sind wir am höchsten Punkt (ca. 980 m) und sehen kurz darauf in das weite Tal oberhalb von Røldal und auf unseren nächsten Anstieg – zum Røldalsfjellet. Davor geht es aber über eine lässige Abfahrt ca. 400 Höhenmeter bergab mit wunderschönem Ausblick auf den ruhig daliegenden, etwa 20 km langen Røldalsvatnet.
Etwas unterhalb vom Røldal-Skigebiet stoßen wir auf die E134, die hier sehr breit ausgebaut und angenehm zu fahren ist. Knapp vor dem ca. 4,5 km langen Tunnel zweigt eine schmale Bergstraße hoch zum Røldalsfjellet ab. Ein Schranken mit Fahrverbotstafel lässt uns lange zittern, ob die Straße schon ausgefräst wurde und wir über die Passhöhe (1.080 m) kommen werden. Wir wollen es auf jeden Fall probieren, schließlich sind es ja nur noch 300 Höhenmeter berghoch und die ersten Kilometer, die wir sehen, wirken geräumt.
Wir haben doppelt Glück, denn erstens versperrt uns kein Schnee den Weg und zweitens sind wir dank des Schrankens über die gesamte Auf- und Abfahrt vollkommen allein. Und auch abgesehen davon ist die Straße ein absoluter Traum, sowohl von der Anlage/Steigung, als auch vom Belag/Flüsterasphalt als auch von den großartigen Panoramen in alle Richtungen.
Nach einer sensationellen Abfahrt, bei deren Hälfte wir wieder auf die E134 gelangen, haben wir den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht und biegen kurz vor Skare 90° Richtung Südwesten. Nach ca. 7 etwas mühsameren Kilometern (viel Verkehr) geht es auf eine tolle, einsame Seitenstraße abwärts bis zum wunderschönen Åkrafjord (Seehöhe 0 m).
Über einen großartigen Radweg (wahrscheinlich die alte Straße) parallel zu der durch lange Tunnels führenden E134 radeln wir den Åkrafjord entlang, vorbei am 600 m hohen Langfossen (Wasserfall), an der malerischen Ortschaft Markhus und an unzähligen Panoramaplätzen mit Blick über den tiefblauen Fjord und die dahinter emporragenden grünen Berghänge und dunkelgrauen Felswände.
Nachdem wir morgen Mittag die Personen- und Radfahrer-Fähre von Ropeid nach Sand und im Anschluss von Sand nach Stavanger nehmen möchten, wollen wir heute möglichst weit kommen, um das soeben online via kolumbus.no gebuchte Hurtigbåtkai auch ohne Stress zu erreichen.
Also werden es am Ende des Tages über 97 km mit 1.500 Höhenmetern. Auf eine Zeltplatzsuche im dicht besiedelten Gebiet rund um die E134 haben wir keine Lust und wählen den einzigen Campingplatz weit und breit nahe der Stadt Etne (Etne Camping – zweckmäßig, aber im Vergleich zu den bisherigen Campingplätzen vom Flair und Preis her definitiv kein Highlight).
Etappe 9
Heute steht uns nur eine sehr kurze und völlig unspektakuläre Etappe bevor. Gerade richtig, um die genialen Eindrücke und Bilder der vergangenen Bergetappen im Kopf zu verarbeiten. Über die E134, die Rv514 sowie die Rv46 geht es ständig leicht auf- und wieder abwärts nach Ropeid, wo wir vorgestern vom Süden kommend weiter nach Sauda gefahren sind. Diesmal geht es für uns mit der Fähre weiter nach Stavanger, und zwar mit dem Hurtigbåtkai, einer kleinen Personenfähre, die auch Fahrräder mitnimmt. Eine Fährverbindung für Autos/Motorräder von Ropeid nach Sand gibt es nicht mehr. Das Hurtigbåtkai hält von Stavanger kommend in Ropeid und fährt weiter ans gegenüberliegende Ufer nach Sand, wo wir aussteigen und ca. 1:30 h Aufenthalt haben, bevor das Fährschiff von Sauda kommend wieder in Sand hält und uns mit ein paar Zwischstopps in zwei Stunden Fahrzeit nach Stavanger bringt.
Bei Sonnenschein und kräftigem, kaltem Wind rollen wir durch das Zentrum von Stavanger. Viele junge Menschen sind auf der Straße und feiern den Sommer mit leichter Bekleidung (wir haben unsere GoreTex-Jacken an). Auf einem Platz nahe der St. Petri kirke lauschen wir kurz dem Live-Konzert einer Band. Danach geht es mit einem REMA1000-Einkaufsstopp weiter zum Mosvangen Camping, der in einem Park an einem kleinen See liegt und nur 3 km vom Zentrum entfernt ist. Entsprechend gut besucht ist der Campingplatz – für Autos/Wohnmobile ist er bereits ausgebucht. Wir bekommen noch einen Zeltplatz am äußersten Rand in einem kleinen Waldstück. Seit langem sehen wir hier auch wieder einmal andere Reiseradler (die letzten trafen wir beim Reiårsfossen Camp am 3. Tag unserer Reise). Auch wenn uns das Flair des Campingplatzes so überhaupt nicht begeistert, eine heiße Dusche tut gut und in der Gemeinschaftsküche kocht es sich auch etwas entspannter.
Etappe 10
Um 7 Uhr starten wir voll motiviert unsere erste richtige Küsten-Etappe. Wir freuen uns richtig auf das Meer und die neuen Landschaften fürs Auge. Zu Beginn bedecken noch einige dichte Wolken den Himmel, aber nach ca. zwei Stunden ist sie wieder da – die Sonne – und sie wird uns auch bis zum Ende unserer Reise stetig begleiten. Darüber hinaus macht auch der von Nordwest kommende Rückendwind das Radreise-Glück perfekt.
Der Nordseeküstenradweg (Nr. 1) ist auf der heutigen Etappe passagenweise traumhaft schön. Ein erstes Highlight sind die küstennahen Single- und Doubletrackpisten nahe des idyllischen Varhaug gamle kirkegård. Aber auch die weißen Sandstrände und die türkisfarbenen Buchten rund um den Brusand Strand sind wunderschön. Hier rasten wir für unsere Mittagspause im malerischen Wegenetz entlang der felsdurchsetzten Küste.
Die für uns größte Überraschung wartet dann aber vor Egersund: eine geniale Schotterpiste für Wanderer und Radfahrer quer über ein gigantisches Naturpark-Plateau bestehend aus Stein-/Felsformationen und unzähligen blauen Seen. Einziger Wermutstropfen sind die zahlreichen Steilrampen bergauf, welche die Watt ordentlich emporschnellen lassen, aber auf Fahrrad-Schieben haben wir so gar keine Lust.
Und auch der anschließende Bahntrassen-Radweg durch idyllische Wälder, vorbei an malerischen Seen und perfekten Pick-Nick-Plätzen, ist ein absoluter Traum. Leider ist es für unser Etappenende noch eine Spur zu früh, ansonsten hätten wir hier die perfekten Zeltplätze gefunden.
Ab Egersund ist dann der 1er-Radweg entlang der Fv44 leider alles andere als prickelnd. Für die Streckenplanung entlang der Küste hatten wir uns im Vorfeld nur wenig Zeit genommen, ansonsten gäbe es in dieser Gegend mit Sicherheit ein paar lohnende Abstecher vom Nordseeküstenradweg. Außerdem wollen wir Mittwoch mittags mit der Fähre zurück nach Hirtshals, um den kommenden Donnerstag-Feiertag für unsere lange Rückreise mit dem Auto nach Hause nutzen. Insofern zieht es uns heute am geplanten Track so lange weiter, bis wir müde werden. Dies ist nach knapp 108 km der Fall und so lassen wir uns auf der Wiese an einem Rastplatz nieder, an dem auch einige Camper sichtlich zum Übernachten parken. Eine Tischbank, ein kleiner Bach, der über einen Wanderweg erreichbar ist und uns eine feine Wascheinheit sichert, sowie die angrenzende Fels-Küste mit netter Fernsicht sind für uns verlockend genug, um unser Nachtlager hier aufzuschlagen, auch wenn wir etwas wehmütig an die genialen Natur-Plätze vor Egersund zurückdenken.
Etappe 11
Die heutige Etappe wird auf dieser Reise nicht nur die mit der längsten reinen Fahrzeit (7:20 h), sondern auch die mit den meisten Höhenmetern (1.923 hm). Es ist uns immer wieder schleierhaft, wie viele Radreisende wir treffen, die einfach nur an der Küste entlang radeln mit dem Argument, die Bergstrecken im Landesinneren seien ihnen zu anstrengend. In Wahrheit ist es oft genau umgekehrt. Die unzähligen kurzen, oft fies steilen Bergauf-Bergab-Passagen an der Küste sind – vor allem mit schwer bepackten Reiserädern – um ein Vielfaches kräftezehrender als lange, kontinuierliche Anstiege auf gut angelegten Bergstraßen, von der für den Kopf erfrischenden Abwechslung durch die ständig wechselnde Perspektive ganz zu schweigen. 😊
Obwohl wir wieder sehr zeitig starten, sind die ersten 7 km heute Morgen recht mühsam, da an der 44er ziemlich viel Berufsverkehr ist (inkl. LKW). Dafür sind noch keine Touristen mit ihren Wohnmobilen unterwegs. Umso schöner wird es dann aber an der sehr einsamen Fv33, auch wenn es hier gleich saftig bergauf geht.
Eine wunderschöne Morgenstimmung genießen wir im kleinen Küstenort Nesvåg. Vor allem die sich im glatten Meer spiegelnde Küstenlinie mit ihren bunten Holzhütten und Booten ist ein absolutes Bilderbuchmotiv.
Die richtigen Steigungen warten aber heute noch auf uns. Hinter Hauge geht es – zurück auf der 44er – über eine toll angelegte Straße 180 Höhenmeter berghoch und danach mit einer für Radfahrer spektakulären Tunnel-Galerie-Abfahrt hinunter zum Jøssingfjord. Zahlreiche Info-Tafeln informieren über den gewagten Straßenbau und die historische Vergangenheit („Altmark-Zwischenfall“ im 2. Weltkrieg).
Gleich danach geht es wieder 280 hm berghoch und anschließend wieder genauso viele bergab (auf die Seehöhe 0 m) an die Grenze der Provinzen Rogaland und Agder. Und auch die nächsten 40 km geht es sehr ähnlich weiter.
Besonders garstig ist hinter Flekkfjord eine unmenschlich steile und tief schottrige Steigung am 1er Radweg abseits der E39. Wir denken uns, dass es den meisten egal sein wird, da gefühlt 90% der Radreisenden hier in die entgegengesetzte Richtung zum Nordkap unterwegs sind. Wir treffen zumindest all die Tage an der Küste nicht eine/n Reiseradler/in in unsere Richtung (Kristiansand) fahrend, dafür einige schwer bepackt Richtung Norden.
In Kvinesdal kaufen wir wieder Proviant in unserem Lieblingssupermarkt REMA 1000, bevor wir die letzte Steigung des Tages in Angriff nehmen. Im Vorfeld haben wir auf Google Maps einen kleinen See wenige Meter abseits des Nordseeküstenradweg entdeckt, zu dem eine schmale Schotterpiste bergab führt und den wir für die heutige Nacht anvisieren. Der Platz erweist sich als absolut perfekt – endlich wieder einsam, ruhig, idyllisch und sehr naturnah. Nur eine Frau im PKW kommt (am nächsten Morgen) an der Schotterpiste an uns vorbei, hält an und fragt uns nett, ob wir gut geschlafen haben und wie uns dieser Platz gefällt. Wir sind uns sicher, dass sie es uns ansieht, wie sehr wir uns an diesem Platz im Märchenwald neben dem kleinen See wohlfühlen.
Etappe 12
Je näher wir Kristiansand kommen, desto weniger spannend werden die Kilometer. Die Highlights unserer Reise liegen definitiv hinter uns, auch wenn es heute den ein oder anderen sehr netten Ausblick gibt, sei es bei der Mittagspause auf der Tischbank bei Spangereid an der Høllebukta oder kurz darauf bei den im Sonnenlicht kräftig strahlenden roten Bootshäusern in der Bucht von Søyla.
Auch der dichte Wohnmobilverkehr trübt unsere Laune entlang der Küstenstraße, an welcher der Nordseeküstenradweg hier für lange Zeit entlangführt und wir denken sehnsüchtig an die ersten Etappen im Landesinneren auf dem genialen 3er Radweg zurück.
Ruhiger wird es erst ein paar Kilometer hinter Mandal auf dem Weg zu unserem Zeltplatz der 1. Nacht unserer Reise. Diesmal schaffen wir es auch etwas zeitiger an die versteckte Bucht und können so neben der herrlichen Ruhe auch noch ein paar Stunden die Abendsonne genießen.
Etappe 13
Bei unserem letzten Frühstück zückt der Wettergott nochmals alle Trümpfe. Beim herrlichen, windstillen Sonnenaufgang sitzen wir mutterseelenallein an diesem malerischen Ort und sind richtig dankbar und glücklich, dass wir uns daheim in letzter Sekunde für diese außergewöhnliche Norwegen-Reise entschieden hatten.
Heute geht es nur noch auf der identen Route wie an Tag 1 in die entgegengesetzte Richtung nach Kristiansand, wo wir ein paar Stunden das Zentrum besichtigen, bevor wir am Nachmittag die Fähre zurück nach Dänemark/Hirtshals nehmen. Wir packen Räder und Taschen in unseren Caddy und fahren noch etwa eine Stunde zu einem Shelter-Platz (https://udinaturen.dk), wo wir unser Zelt aufschlagen, bevor wir am nächsten Tag zeitig in der Früh wieder ab nach Hause starten.
Unsere Route
Etappen auf Strava
norwegen süd #1 2:34:51 42,48 km 477 m
norwegen süd #2 4:08:41 65,80 km 689 m
norwegen süd #3 5:15:51 83,58 km 579 m
norwegen süd #4 4:57:10 58,73 km 1.186 m
norwegen süd #5 4:23:28 55,75 km 1.028 m
norwegen süd #6 6:45:17 95,56 km 1.778 m
norwegen süd #7 5:02:20 57,73 km 1.431 m
norwegen süd #8 6:50:25 97,84 km 1.502 m
norwegen süd #9 3:45:22 58,08 km 843 m
norwegen süd #10 6:44:50 107,90 km 971 m
norwegen süd #11 7:20:58 99,57 km 1.923 m
norwegen süd #12 5:39:45 80,52 km 1.313 m
norwegen süd #13 2:46:54 42,75 km 483 m
GESAMT: 946,29 km/14.203 m
Laura
Aug 9, 2023 -
Ich habe eure Seite gerade zufällig entdeckt. Vielen Dank für den ausführlichen Bericht und die sagenhaften Bilder, die Lust auf Norwegen machen! Ich war noch nie „dort oben“, habe aber spätestens jetzt richtig Lust dazu bekommen!
Alles Gute weiterhin bei euren Reisen und ein dickes Dankeschön nochmal!
hana + peter bergh
Aug 9, 2023 -
Hallo Laura, vielen Dank für dein sehr nettes Feedback 🙂
Michael Gögele
Mai 28, 2024 -
Hallo,
Danke für den Bericht, Fotos und Route. Bin seit Wochen am Bikepacking-Trip planen und bin hin und her gerissen zwischen Schottland oder Norwegen. In Schottland war ich schon mal und es war grossartig, deshalb zweifle ich dauernd ob Norwegen ein würdiges Ersatzziel sein kann. Euer Bericht scheint mir aber durchaus zu bestätigen das Norwegen um nichts schlechter sein könnte.
Danke.
hana + peter bergh
Mai 29, 2024 -
Hallo Michael,
danke für deine Nachricht. Aus unserer Sicht sind definitiv beide Länder eine Radreise wert 🙂
Liebe Grüße, Hana & Peter
Helmut Hilverling
Jul 7, 2024 -
Hallo,
ich habe 1963!! im Alter von 18 Jahren mit einem Freund eine knapp 2000 km lange Zelt- Rundreise durch Südnorwegen gemacht. Damals gab es allerdings ausschließlich Schotter-/ Lehmstraßen. Bei Regen sahen wir entsprechend aus! Die Route ging an den Fjorden hoch, über das Jostedalgebirge, über Lom in die Österdalen und dort Glommaabwärts nach Oslo zurück. – Wenn ich heute meinen Enkeln davon erzähle, hängen sie gebannt an meinen Lippen. – Meinen Freund habe ich letztes Jahr nach langem Suchen wiedergetroffen, aber der Funke ist leider nicht mehr übergesprungen …!
Herzliche Grüße sendet Helmut
hana + peter bergh
Jul 8, 2024 -
Hallo Helmut,
danke für deine Nachricht – das klingt nach einem wunderbaren Abenteuer! Auch ich kenne noch die jugendliche Radreise-Zeit vor Internet/Smartphone und GPS-Navigation Anfang der 90er Jahre – das hatte damals schon noch einen ganz anderen Charakter. Der 24h Naturgenuss und die Freude am Unterwegssein aus eigener Kraft sind aber nach wie vor ident.
Herzliche Grüße, Peter