TDI 04 – Abruzzen, Molise und Kampanien:
Sulmona, Monte Pratello, Caiazzo, Neapel

TDI 04 – Abruzzen, Molise und Kampanien:<br>Sulmona, Monte Pratello, Caiazzo, Neapel

Vom Nationalpark Gran Sasso und Monti della Laga wechseln wir in den Parco Nazionale D’Abruzzo Lazio e Molise. Noch einmal möchten wir das gute Wetter in den Bergen nutzen, um bei Vollmond irgendwo hoch oben über der Baumgrenze zu zelten. Danach wollen wir aber so richtig Neuland (für uns) entdecken und auch die Neue Stadt (nea-polis): Napoli – nicht nur die Hauptstadt Kampaniens, sondern unbestritten auch das kulturelle Zentrum Süditaliens.

12. Etappe – Bosco di Sant’Antonio

„Auf nach Neapel!“ rufen wir uns kurz nach 7 Uhr morgens beim Checkout aus unserem Apartment in Santo Stefano zu. Bis Neapel warten zwar noch 4 spannende Etappen auf uns, aber irgendwie freuen wir uns schon so richtig auf etwas Neues, Unbekanntes, so sehr wie die Berge hier in den Abruzzen lieben.

Über das Bergdorf Calascio, wo wir 2017 eine Nacht auf unserer Abruzzen-Reise verbracht hatten, verlassen wir vorerst die baumlosen Regionen und brausen die lässigen Serpentinen hinunter ins Tirino-Tal.

Es folgen ein paar weniger spektakuläre Kilometer über die für unsereins witzig klingenden Ortschaften Bussi und Popoli, ehe wir nach etwa 55 km in Sulmona eintreffen. Auch hier drehten wir bereits 2017 unsere Runden durch die sehenswerte Altstadt und über die belebte Piazza Giuseppe Garibaldi. Wir kaufen in einer Bäckerei Brot und Kuchen und gönnen uns danach einen Caffè am Hautplatz.

Für heute Abend peilen wir das Rifugio il Majo etwas oberhalb von Cansano an, ohne zu wissen, ob es A) von der Lage her (da sehr nahe an der Straße gelegen), und B) vom Komfort her (geöffnet oder nicht/sauber/Wiese fürs Zelt daneben), unseren verwöhnten Ansprüchen für ein idyllisches Nachtlager gerecht werden wird.

Von Sulmona geht es aber vorerst einmal 400 Höhenmeter angenehm berghoch in das sehenswerte Bergdorf Cansano (835 m).

Hier füllen wir nochmals alle unsere Wasserflaschen und ziehen nach einer kurzen Runde durchs Zentrum weiter bergauf Richtung Rifugio, welches auf etwa 1.150 m Höhe liegt. Wie schon leise vorausgeahnt fühlen wir uns hier so überhaupt nicht wohl. Das Schutzhaus ist geschlossen und die paar Meter Wiese davor alles andere als heimelig. Nachdem wir noch 3 Stunden Tageslicht und etwas Kraft in den Beinen haben, wählen wir den Anstieg weiter durch den Bosco di Sant’Antonio hinauf zum Hochplateau rund um Pescocostanzo am Rande des Majella Nationalparks. Am höchsten Punkt (etwa 1.350 m) zweigen wir links auf eine Offroad-Piste ab, die auf eine bereits gut abgegraste Weide führt, auf der wir uns, uneingesehen von der Straße aus, nahe der die Weide begrenzenden Steinmauer niederlassen – von Atmosphäre und Aussicht her kein Vergleich zu dem feucht-erdigen Areal rund um das Rifugio il Majo.

13. Etappe – Monte Pratello

Nach einer ruhigen Nacht frühstücken wir mit Stirnlampe unter den funkelnden Sternen eine große Portion Kaiserschmarrn, um uns für die letzte richtige Bergetappe zu rüsten. Von den Eckdaten her wird es am Ende des Tages halb so wild: nur 43 km und 1.100 Höhenmeter warten auf uns, aber wir werden dank zahlreicher Foto- und Videostopps wieder mehr als 8 Stunden unterwegs sein, bevor wir unseren Zeltplatz am Monte Pratello auf über 2.000 m Höhe erreichen werden.

Die ersten Kilometer am malerischen Hochplateau nach Pescocostanzo sind eisig frisch. Wir freuen uns über die kräftigen Herbstfarben, die im perfekten Licht der Morgensonne strahlen. In der Bottega del Pane füllen wir unseren Proviant auf, bevor wir über Rivisondoli weiter auf das Altopiano delle Cinquemiglia ziehen. Wir stauen wieder einmal, welche fantastischen Hochplateaus hier im Apennin die Herzen aller Pedalritter höherschlagen lassen.

Nach 6 schnurgeraden Kilometern zweigen wir links zur Chiesa Madonna del Casale, wo wir am schattigen Rastplatz jausnen. Den ursprünglich geplanten Track nordwestwärts über zahlreiche Serpentinen müssen wir nach ein paar hundert Metern als sinnloses Unternehmen erfahren: zu grobsteinig/tief ist die Schotterpiste berghoch, sodass selbst ein Schieben unserer Reiseräder hier für die nächsten vielleicht 9 km extrem mühsam und kräftezehrend wäre. Also kehren wir um und wählen eine Alternative, die sich zum Glück als deutlich fahrfreundlicher erweist.

Über die Area Pic-Nic „Chiarano Sparvera“ gelangen wir nahezu genussvoll in höhere Regionen und staunen unentwegt über das prächtige Herbstlaub der umliegenden Wälder und die felsigen Formationen ringsum, die neben ausgedehnten Weideflächen ein großartiges Panorama bieten. Auf 1.540 m Höhe treffen wir wieder auf unseren geplanten Track und folgen der gut fahrbaren Piste Richtung Lago Pantaniello.

Den See selbst lassen wir aus, da wir schon eine leise Müdigkeit verspüren und nicht genau wissen, wo wir heute nächtigen werden. Nachdem für Montag heftige Regenschauer auf der Etappe nach Neapel vorhergesagt sind, wollen wir morgen unbedingt so weit wie möglich kommen. Insofern wäre es gut, heute noch bis auf den Gipfel zu fahren, auch wenn wir ursprünglich den Lago Pantaniello oder das Stazzo Polverino als Etappenziel geplant hatten. „Stazzo“ bedeutet an sich ein freistehendes Haus, das als Unterkunft der Hirten und Schafe dient, aber auch von Wanderern/Reisenden in den Bergen als Schutzhütte für eine Nacht genutzt werden kann.

Rund um das Stazzo Polverino treffen wir eine riesige Schafherde mit wachsamen Hirtenhunden, die uns als Erstes gleich zeigen, dass sie ihre Herde gut schützen werden, sollten wir Böses im Sinn haben. Ein paar Meter von uns entfernt erkennen sie aber schnell, dass wir keine Gefahr sind und vielleicht sogar ein wenig Essen für sie spendieren werden. So bedrohlich und aggressiv viele Hirtenhunde oft von der Ferne wirken – bei unserer Pause merken wir wieder einmal richtig, wie sehr die Hirtenhunde die Nähe zum Menschen suchen. Kurz überlegen wir noch die Nacht hier zu verbringen, aber irgendwie zieht es uns weiter.

Über großartige Wiesen und Weidelandschaften fahren wir dem etwas steileren Schlussanstieg des Monte Pratello entgegen – etwa 200 Höhenmeter warten noch auf uns.

Am höchsten Punkt angelangt genießen wir das 360° Panorama zwischen den Nationalparks Majella und Abruzzo Lazio e Molise.

Auf einer windgeschützten Ebene finden wir den perfekten Platz für die Nacht – Seehöhe 2.040m. Wir duschen im wärmenden Sonnenlicht ohne Wind und selbst beim Abendessen genießen wir noch die letzten Strahlen der Sonne, bevor sie am Horizont gegenüber von uns hinter den Bergen verschwindet.

14. Etappe – Caiazzo

Heute Morgen ist es richtig zapfig in der Höhe. Der Vollmond leuchtet noch vom Himmel, als wir in unsere Daunenjacken gehüllt frühstücken. Nach einem schönen Sonnenaufgang rollen wir die Schotterpiste bergab Richtung Skigebiet/Talstation.

Die letzten 100 Höhenmeter sind so grobschottrig/steinig und steil, dass wir unserer Bikes bergab mit gezogenen Bremsen schieben. Wir sind richtig happy, dass unser Anstieg gestern bis zum höchsten Punkt derart genial fahrbar war, denn von dieser Seite wäre eine Bergfahrt/-schiebung extrem zäh. Am großen Parkplatz des Skigebiets legen wir Daunenjacken und Überhosen ab und freuen uns über die wärmenden Sonnenstrahlen. Ab hier geht es auf Asphalt flott bergab nach Roccaraso, wo wir beim Dorfbrunnen den Abwasch und das Auffüllen unserer Wasserflaschen erledigen. Und auch die nächsten Kilometer weiter bergab nach Castel di Sangro sind ein absoluter Genuss.

Das eigentliche Streckenhighlight kommt dann aber nach einem ca. 200 Höhenmeter Gegenanstieg, auf dem wir nett mit einem Rennradler ins Gespräch kommen. Wir befinden uns an der Grenze Abruzzen/Molise am Rande des  Parco Nazionale D’Abruzzo Lazio e Molise. Eine herrliche Abfahrt führt ins Tal des Volturno, vorbei an unzähligen Bären-„Rallentare!“ (langsamer)-Tafeln, die auf die große Population an Braunbären in dieser Region aufmerksam machen.

Nach etwa 50 km legen wir unsere Mittagspause ein und nutzen diese auch gleich, um unser Zelt in der Sonne zu trocknen, noch nicht ahnend, dass wir es heute Nacht nicht brauchen werden.

Längere Anstiege warten auf uns heute keine mehr. Unsere Route führt uns nicht direkt am, aber meist in der Nähe des Volturno, relativ unspektakulär, dafür perfekt, um die grandiosen Bilder von gestern und heute Früh zu verarbeiten.

Nach etwa 85 km legen wir kurz nach der Grenze Molise/Kampanien bei einer schattigen Sitzgelegenheit nochmals eine Pause ein. Irgendwie sind wir heute etwas müde und kraftlos, vielleicht auch von der Höhe und Kälte der letzten Nacht. Wir studieren auch nochmals genauer die verschiedenen Wetterapps, da uns einige (stundenweise) Starkregenprognosen für heute Abend/morgen Früh sowie morgen nachmittags Sorgen bereiten. Irgendwie haben wir so überhaupt keine Lust auf eine fetznasse Zeltnacht und noch weniger auf eine Fahrt nach Neapel bei strömendem Regen. Wir suchen auf booking.com nach einem leistbaren Zimmer auf dem Weg nach Caserta, das wir morgen am Weg nach Neapel besichtigen wollen. Einerseits freut es uns so gar nicht heute noch ewig weit zu fahren, andererseits wäre ein Eintreffen morgen mittags in Neapel wettertechnisch von Vorteil. Die Auswahl an Zimmern, die in Frage kommen, ist darüber hinaus extrem dünn und so entscheiden wir uns schließlich für ein Angebot in Caiazzo, welches noch 50 km entfernt liegt. Immerhin hebt die Aussicht auf ein Zimmer, eine heiße Dusche und eine trockene Nacht die Stimmung, auch wenn wir beide für weitere 50 km so überhaupt nicht motiviert sind. Egal, es geht weiter nach Alife, durch dessen Zentrum wir beinahe schon mit Scheuklappen durchrollen.

Irgendwann erspähen wir unseren Zielort, Caiazzo, auf einer kleinen Anhöhe liegend. Zum Glück sind es nur etwa 100 Höhenmeter, bis wir nach 132 km und gut 10 Stunden Reisezeit auf der Piazza Porta Vetere unsere Quartiergeberin Carmen treffen. Wir beziehen unser Zimmer, das sogar mit einer kleinen Küche auftrumpft, duschen heiß und bereiten uns dann sofort ein feines Abendessen zu, um die leeren Depots möglichst rasch wieder aufzufüllen. Danach ziehen wir noch kurz durch die Gassen der Altstadt, vorbei am „Pepe in grani“, wo es laut New York Times und einigen Online-Guides (u.a. 50toppizza.it 2017/2018) die beste Pizza der Welt gibt. Die Chancen hier ohne Vorreservierung einen Platz zu bekommen sind relativ gering, also sind wir nicht allzu traurig, dass wir erst im Nachhinein erfahren haben, an einem derart weltbekannten und außergewöhnlichen Lokal einfach nur vorbei marschiert zu sein.

15. Etappe – Napoli

Nur noch 55 km trennen uns von Neapel und unserem nächsten Home-Office-Aufenthalt, auf den wir uns schon ganz besonders freuen – auf belebte schmale Gassen, tolle Architektur und gutes Street Food. Davor geht es noch durch Caserta, vorbei am bourbonischen Königspalast – „Italiens Versailles“ – und dessen gigantischen Schlosspark.

In einer Bar machen wir unsere erste Bekanntschaft mit einem DER neapolitanischen Straßenklassiker: Pizza fritta, eine frittierte Calzone – außen knusprig und innen schön teigig und weich … passt auch wunderbar vormittags zu einem Espresso, wenn man schon ein paar Kilometer in den Beinen hat.

Die Einfahrt nach Neapel erwischen wir perfekt auf einer schmalen, nahezu verkehrsfreien Seitenstraße entlang landwirtschaftlich genutzter Flächen. Erst als wir in einem Vorort die unscheinbare Ortstafel passieren, landen wir mit einem Schlag im dichten Stadtverkehr, der auf den ersten Blick hektisch, aber keinesfalls rücksichtslos über die holprigen, schmalen Pflasterstein-Gassen großteils staut. Nicht immer finden wir mit unseren Rädern eine Möglichkeit uns seitlich vorbei zu schummeln … aber wir haben es nicht wirklich eilig. Am Himmel sehen wir noch keine bedrohlichen Regenwolken und irgendwie genießen wir es richtig, derart aufmerksam und konzentriert mit allen Sinnen die lebendige Atmosphäre der drittgrößten Stadt Italiens aufzusaugen.

Irgendwann stehen wir vor der Porta Capuana, einem der antiken, freistehenden Stadttore Neapels und zweigen südostwärts Richtung unserem Apartment beim Bahnhof San Giovanni-Barra nahe der großen Universität Neapel Federico II. In der Gastronomia Frosina, 1 Minute von unserem Apartment entfernt, kosten wir uns durch verschiedenste warme Gerichte, die man an der großen Theke beliebig auswählen kann, alles geschmacklich wunderbar.

Die Tage darauf liegt unser Fokus wieder vorrangig auf Arbeit und Regeneration. An einem Tag schüttet es dermaßen kräftig von früh morgens bis abends, dass noch am nächsten Tag alle Straßen halb unter Wasser stehen – wir danken dem Wettergott, dass wir bei derartigen Straßen-Verhältnissen weder mit dem Rad nach Neapel hinein noch aus Neapel heraus reisen mussten bzw. müssen werden. Wir sind überglücklich hier trocken gelandet zu sein und mit diesem heftigen Niederschlag auch gleichzeitig den letzten Regentag unserer Reise und damit den Wetter-Wendepunkt zu einem stabilen Hoch hin erreicht zu haben.

An einem Tag besichtigen wir natürlich auch das Zentrum von Neapel, das für uns mit der Bahn bequem in ein paar Minuten erreichbar ist. Wir staunen über die prunkvollen Gebäude der Altstadt, wie die Galleria Umberto I oder die Basilica Reale San Francesco da Paola, aber ebenso über das schmale Gassenwerk im belebten Spagnoli-Viertel mit den zahlreichen Geschäften, Trattorien und Imbissständen. Neben Pizza fritta und Pizza Margherita ist es vor allem die süße Sfogliatella riccia – eine mit Ricotta, Zimt und Orangenblütenaroma gefüllte, kunstvoll gerippte Blätterteigtasche – die wir an mehreren Plätzen begeistert verkosten.

Nicht nur im Spagnoli-Viertel, aber hier ganz besonders, hängen an allen Ständen noch die blauen Trikots mit der Nummer 10 und Maradonna-Aufschrift, überall sieht man Postkarten und Sticker, aber auch Wandgemälde in allen Größen vom einstigen Fußballgott, der Neapel alles gegeben hat, was es sich je erträumt und erhofft hatte. Nicht zufällig sind an vielen Ecken und Wänden der Fußgängerzonen Maradonna- und Madonna-Bilder und -Statuten direkt nebeneinander platziert. Der bewegende Dokumentarfilm „Diego Maradonna“ (2019) – wir haben ihn nach unserer Reise gesehen – wirkt wahrscheinlich nochmals intensiver, wenn man einmal selbst durch das Viertel der 2020 verstorbenen Fußball-Ikone spaziert ist.

Die einzelnen Etappen auf Strava:

TdI 12 – Bosco di Sant’Antonio 5:29:52 81,59 km 1.314 m
TdI 13 – Monte Pratello 4:30:44 43,00 km 1.113 m
TdI 14 – Caiazzo 6:58:34 132,55 km 834 m
TdI 15 – Neapel 3:14:58 55,16 km 285 m

Fahrzeit, Kilometer und Höhenmeter sind nicht 100% exakt … wenn z.B. vergessen wurde, die Uhr nach einer Pause wieder zu starten 🙂

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Unsere Traversata d‘Italia in 6 Blöcken: