In der Nacht fallen die ersten Regentropfen unserer Reise auf das Zeltdach unserer Venus. Draußen hängt unsere Radwäsche auf der Leine, aber wir sind zu müde und faul hinaus zu gehen und die Wäsche abzunehmen. Statt dessen denken wir uns: „Ist doch egal, ob wir in der Früh in feucht-klamme oder in nass-klamme Klamotten schlüpfen. Nach ein paar Minuten am Rad rinnt sowieso frischer Schweiß.“
Erstmals haben wir keinen Handywecker gestellt oder ihn vielleicht auch nach dem ersten Klingeln im Halbschlaf auf „off“ statt auf „snooze“ gestellt. Als wir aufstehen, ist es bereits hell. Es regnet zum Glück nicht mehr, aber draußen hängen überall noch die Tropfen der Nacht. Wir frühstücken im Zeltgewand und schälen uns erst so spät wie möglich in unsere feuchten Hosen und Trikots – immerhin behalten wir Recht: viel schlimmer als sonst am Morgen ist es heute auch nicht.
Die ersten Kilometer führen über nasse Straßen und Radwege. Kurz vor Hualien kommt sogar die Sonne heraus und verwandelt die graue, düstere Küstenlandschaft zeitweise in ein farbfrohes Szenarium. Riesen Industrie-Areale und an Panzersperren erinnernde Betonformationen prägen das Bild auf unserem Weg nach Hualien.
Schon bald erspähen wir an einer Straßenecke ein kleines Lokal, das überaus verlockend wirkt. Auch wenn wir die Speisekarte wie immer ganz und gar nicht entziffern können, die Eier in der Auslage sind für uns schon mal ein gutes Omen. Wir nehmen auf einer schönen, massiven Holzbank Platz und speisen in Folge zusammen drei super leckere Omelett-Pancakes mit Sprossen und Gemüse.
Danach geht es gut gestärkt weiter ins Zentrum. Wie schon in Puli ist es auch hier in Hualien ein richtiger Genuss mit dem Rad mitten durch die Stadt zu cruisen. Trotz der vielen Autos und Mopeds spürt man so gar keine Hektik oder Aggression aufkommen. Wir rollen wie alle gemütlich von Ampel zu Ampel, werfen Blicke in jedes Geschäft und in jede Straßenküche, um so viele Eindrücke wie möglich aufzusaugen.
Bei einer Bäckerei stoppen wir, kaufen Proviant und Kuchen für sofort – bevor wir weiterfahren, wandert noch schnell der mit Abstand beste Kuchen unserer Reise in uns hinein: Walnuss, dunkle Schokoloade und ein saftig-buttriger Kuchenteig – würde bei uns auch nicht besser schmecken 🙂
Die ersten 10 Kiometer nach Hualien gehen meistens flach dahin. Wir genießen den Blick auf das blau-türkise Meer und die wolkenverhangenen Berge. Die 11er Küstenstraße ist gut ausgebaut, teils sogar 2-spurig mit breitem Seitenstreifen. Verkehr ist dafür überraschend wenig.
Nach etwa 50km verlassen wir die Küste und es wird hügeliger. Hinter Shuilian folgt sogar ein gut 3km langer Anstieg (knapp 250 Höhenmeter), für den wir mit einer flacheren 8km Abfahrt belohnt werden.
Bei einer Brücke treffen wir plötzlich wieder die Tschechen Yvona und Jan. Wir freuen uns sehr darüber, da wir nicht gedacht hätten, dass sie vor uns liegen. Sie sind doch nicht in Tienhsiang/Taroko-Schlucht geblieben, sondern haben in einer Schule kurz vor Hualien übernachtet. Nachdem sie ihre Zeltstangen zu Hause vergessen haben, schlafen sie meistens in Schulen. Wir haben im Vorfeld auch gelesen, dass dies für Radreisende in Taiwan durchaus eine beleibte Variante ist, da die Schulen als öffentliche Gebäude gesehen werden und Reisende grundsätzlich willkommen heißen. Diese Nacht hat aber offenbar ein Schwarm Moskitos den beiden schwer zugesetzt. Die Arme und Beine von Yvona und Jan sind wild zerstochen. Wie es sich für einen Tschechen gehört, holt Jan zur Feier des Wiedersehens eine Flasche Schnaps aus einer seiner Taschen. Wir nippen vom durchaus schmackhaften Birnenschnaps und plauschen noch eine Weile, bis wir wieder weiter fahren, während die beiden eine Pause einlegen. „Wir sehen uns bestimmt wieder“, rufen wir uns beim Verabschieden zu … und das ist richtig, denn nach 80km halten wir in Fengbin, kaufen im Supermarkt Proviant und essen in einem Straßenlokal zu Mittag: eine riesen Schüssel Nudelsuppe mit Gemüse, zwar nicht besonders raffiniert gewürzt, aber durchaus sättigend. Den Topf fürs Abendessen füllen wir uns deshalb in einem anderen Lokal mit richtig pikantem Curryreis und Gemüse. Als wir aufbrechen, kommen Yvona und Jan und testen auch die „gsunde“ Nudelsuppe, nachdem ihnen eine fettige Bratwurst am Vortag nicht so gut bekommen hat.
Nach Fengbin starten wir das Ausschau-Halten nach einem passenden Zeltplatz, da wir gerne einmal etwas früher zur Ruhe kommen möchten. Es dauert nur etwa 10km und wir entdecken unterhalb eines Parkplatzes mit kleinem, verlassen wirkendem Restaurant zwei überdachte Holz-Pavillons, zu denen man über ein paar Stufen hinunter und wieder hinauf gelangt. Wir sehen uns das Platzerl näher an und befinden es sofort für optimal geeignet. Ein Dach über dem Kopf, ein fester Untergrund ohne Gestrüpp oder Getier und in der Nähe ein Waschbecken und frei zugängliche Toiletten – einfach perfekt. Etwas unter uns rauscht das Meer an der felsigen Küste und wir beobachten genüsslich, wie die mächtigen Wellen an den dunklen Klippen empor peitschen. Einem ruhigen, gemütlichen Abend steht nichts im Wege.